Juli 2013

31. Juli 2013

Liebe Fans jedweder Art von Literatur,
in diesem Monat gemischte Genreliteratur, nämlich Krimi, Science fiction und Fantasy – doch was heißt schon Genre?

3684 (97x150)Leslie Ford: Reno Rendezvous. 1939.
Zunächst hatte ich, da ich ja diesen Vortrag über „Miss Marples Basen“ gehalten hab (leider kam ich nur zu grad einem Viertel davon, den Rest hole ich irgendwann nach), noch einen älteren Krimi fertig gelesen: Rendez-vous in Reno von Leslie Ford. Die Autorin war in den 1930/40ern in den USA sehr bekannt, und mir war zumindest der Name geläufig, auch wenn ich bislang noch nichts von ihr gelesen hatte. Dieses Buch nun umständehalber in der deutschen Übersetzung, und da wurde einem noch mal so richtig vor Augen geführt, daß Originale niemals, Übersetzungen aber sehr wohl altern. Diese Übersetzung ist von Anfang der 1960er, und ich hab mich stellenweise schier weggeschmissen vor Lachen – nicht weil die Übersetzung schlecht gewesen, das nicht, aber eben mit dicker Patina. Man sagt brav „Frau Sowieso“ und „Herr Soundso“, und alle Features vom Burger (ich glaub, das war hier: „Toast“ oder „Hacksteak“) bis zur Technik sind eingedeutscht.
Zum Buch: Dazu kommt noch, daß es um Scheidungen geht, logo – Reno war ja ein Paradies dafür, und es wird auch erklärt, warum – , und da breitet sich einerseits das gesellschaftliche Panorama der Vorkriegs-USA und andererseits die sprachliche Weltanschauung des Nachkriegsdeutschlands aus. Super. Den Fall selbst fand ich verworren und psychologisch schwer nachvollziehbar, daher kriege ich ihn grad auch nicht mehr zusammen. Gelesen hab ich das Buch wegen seiner (Serien-)Heldin, Grace Latham. Sie ist Witwe und 38 und wird von einem Ex-Offizier umschwärmt, der irgendwie polizeilich auftritt. Aber sie gerät in die Fälle hinein und macht auch immer alles falsch, verdeckt und versteckt, was das Zeug hält, und verdächtigt immer die Falschen. Von ihrer Umwelt wird sie behandelt, als wäre sie mindestens 103.
Ich weiß noch nicht recht, ob ich sie wirklich ins Herz geschlossen hab, aber ich habe diesen historischen Lesetrip sehr genossen. (Auf dem Umschlag ist ein Standfoto aus einem Film von 1962: Rome Adventure / Abenteuer in Rom mit der gerade mal 30jährigen Angie Dickinson …)
Deutschsprachige Ausgabe:
Leslie Ford: Rendez-vous in Reno. Übersetzt von Ursula von Wiese. A. Müller, 1963.

0616 (91x150)Mary Stewart: The Hollow Hills. 1973.
Danach brauchte ich dringend Abwechslung, und ich dachte, wenn schon historisch, dann mal richtig.
Zum Buch: Diese beiden Bücher (ich habe vorher noch The Crystal Cave wiedergelesen) erzählen Kindheit und Jugend des Zauberers Merlin aus der Artur-Sage, etwa bis zu dem Zeitpunkt, an dem Artur König wird. Und weil Mary Stewart einfach toll erzählen kann, sind die auch toll zu lesen. Ich kenne beide Bücher schon ewig, weil ich sie (auf deutsch) bereits als Kind gelesen hab, offenbar kurz nachdem sie herauskamen.
Stewart hat sich als Hintergrund für Merlin/Artur ein noch römisch beeinflußtes Britannien genommen, in das die Angelsachsen einfallen bzw. zu Hilfe gegen die Pikten gerufen werden. All diese politischen Wirren (die wir selbst heute nur erahnen können, denn viele gesicherte Nachweise gibt es nicht aus dieser Zeit, also Ende 4. Jh./Anfang 5. Jh.) schildert sie verständlich und nachvollziehbar. Aber deswegen lese ich das nicht, sondern weil es eine fantastisch gute Erzählung ist, ein spannender und temporeicher Abenteuerroman mit allem. Und immer noch gut.
Deutschsprachige Ausgabe:
Mary Stewart: Flammender Kristall. Übersetzt von Günter Panske. Molden, 1971. / Der Erbe. Übersetzt von Günter Panske. Molden, 1974.

0560 (86x150)Marion Zimmer Bradley: The Shattered Chain. 1976.
Auch wenn ich sagte, daß Originale nicht altern, so meine ich das: in ihrer Zeit betrachtet. Ansonsten altern sie natürlich genauso wie Menschen.
Zum Buch: Zum Beispiel dieses relativ frühe Werk von der Bradley: Das spielt auf ihrem Planeten Darkover und ist eines der ersten, in dem sie sich von feministischen Ideen inspirieren ließ. Und genauso liest es sich heute auch. Die Frauen sind alle vielschichtig und individuell, mit sehr verschiedenen persönlichen und gesellschaftlichen Hintergründen; die Männer dagegen sind durch die Bank superblöde und damit absolut unsympathisch. Sie führen sich auf wie kleine Kinder, und man fragt sich – schon damals hab ich das (muß so 1980 gewesen sein, es wurde 1978 übersetzt) -, wie die eigentlich an ihre verantwortungsvollen Posten gekommen sind wie etwa Gouverneur des gesamten Planeten und so …
Aber ich will nicht nachtragend sein, und die Bradley spielt bei mir sowieso eine ganz besondere Rolle, denn ich habe meine Diplomarbeit über sie geschrieben. (Die Nebel von Avalon hab ich übrigens gehaßt, nicht zuletzt, weil ich von der Stewart ja ein ganz anderes Bild dieses Erzählstoffes bekommen hatte.) Jedenfalls war das in der Science fiction mit eins der ersten moderneren Bücher, in denen Frauen als aktiv Handelnde im Mittelpunkt standen, und natürlich wurden in diesen Jahren noch viele Punkte der Emanzipation verhandelt, die heute ganz anders oder total abgehakt sind. Daß die Bradley schludrig erzählt, weiß ich ja, und komischerweise macht es bei ihr auch nix oder nicht viel, sie hat so einen Sog.
Deutschsprachige Ausgabe:
Marion Zimmer Bradley: Die Amazonen von Darkover. Übersetzt von Leni Sobez. Pabel, 1978. / Neu übersetzt von Rosemarie Hundertmarck unter dem Titel: Die zerbrochene Kette. Moewig, 1985.

Simon Beckett: The Chemistry of Death. 2006.
Zwischendrin hab ich mal zu einem modernen Bestsellerkrimi gegriffen. Sporadisch prüfe ich ja nach, ob mir bei so was nicht doch alles entgeht, denn eigentlich mache ich um die Bestsellerbücher stets einen großen Bogen – zu oft enttäuscht, weil sie doch meist arg nach Schema F geschrieben oder runtergeschrubbt sind.
So auch diesmal wieder, weswegen ich nichts weiter dazu sagen mag.
Deutschsprachige Ausgabe:
Simon Beckett: Die Chemie des Todes. Übersetzt von Andree Hesse. Wunderlich, 2006.

0740 (90x150)Marion Zimmer Bradley: The World Wreckers. 1971.
Und weil die Bradley trotz allem gern lese, hab ich auch gleich darauf zu einem weiteren Buch von ihr gegriffen, das ich damals sehr mochte, weil es sich auf das Wagnis diverser Facetten von Sexualität einließ. Für mich das eh ein total geheimnisvolles Buch: Weil es das auf Deutsch noch nicht gab, hatte ich es auf Niederländisch gekauft. Nun kann ich eigentlich gar kein Niederländisch, aber ich war hoch motiviert und hab mich Zeile für Zeile ohne Lexikon durchgekämpft. Zumindest grob war mir dann die Handlung bekannt. Etwas später hab ich es dann auf Englisch lesen können und konnte ein paar Lücken füllen. Was die Beziehungen zwischen Mann (oder so) und Frau (oder so) angeht, so ist dies teils angestaubt, teils immer noch Utopie; es wäre schon interessant, denselben Stoff heute noch mal zu erzählen.
Zum Buch: Hintergrund des Romans ist wieder die Welt Darkover, eine scheinbar feudalistisch ausgerichtete Welt unter harten Klimabedingungen (Stichwort schottisches Hochland gekreuzt mit Nepal). In Wirklichkeit handelt es sich um eine verlorengegangene Kolonie der Erde, die in der Zeit, in der sie keinen Kontakt hatte, sozusagen ihr Atomzeitalter durchlaufen und hinter sich gelassen hat. Nur haben die Kolonisten eher keine Hardware-Technik, sondern machen das alles mittels Geisteskräften (Telepathie, Telekinese usw.), die sich bei einigen stark entwickelt haben, weswegen die auch als Adel erachtet werden. Dieser Roman spielt zu einer Zeit, wo die Erde diesen Planeten wiederentdeckt hat und „kolonisieren“ will; eine skrupellose Bande von Geschäftemachern (öhm, ja, es IST ein wenig klischeehaft …) heuert die sogenannten world wreckers an, die die Ökologie des Planeten aus dem Gleichgewicht bringen. Ich denk mal, die Bradley brauchte einfach nur aus der Zeitung abzuschreiben, da war sie sogar ganz hellsichtig. Die adligen Telepathen sterben aus. Ein paar „Gute“ (Darkovaner und Terraner) ziehen nun ein Projekt auf, diese Geisteskräfte systematisch zu erforschen, worauf komischerweise vorher nie einer gekommen ist. Na ja, und in dieser Projektgruppe spielt der größte Teil der Handlung.
Deutschsprachige Ausgabe:
Marion Zimmer Bradley: Die Welten-Zerstörer. Übersetzt von Rosemarie Hundertmarck. Moewig, 1985.

Aktuell:
Reiseliteratur der altmodischen Art, Bücher über Bücher und Lesewiederholungen. Das alles auf dem Balkon, eau de menthe in Griffweite.

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Juni 2013

30. Juni 2013

Geschätzte Mitlesende,
wie schon angedroht, diesmal wieder eher krimilastig.

1403 (40x64)Agatha Christie: Cards on the Table. 1936.
In diesem Buch lernt der Detektiv Hercule Poirot die Krimiautorin Ariadne Oliver kennen. Sie begleitet ihn dann durch fünf weitere Romane und taucht auch in einem Non-Poirot auf.
Zum Buch: Die Handlung ist derart konstruiert, daß ich schon bald nicht mehr durchgeblickt habe, aber das macht mir ja nichts, weil ich an Häkelkrimis anderes schätze als das Mitraten. Poirots Bekannter, der von der Macht des Verbrechens fasziniert ist, bittet acht Gäste zu sich, die mit Verbrechen zu tun haben – vier Spürnasen und vier „andere“, die im Nachhinein als irgendeines Verbrechens verdächtig erscheinen. Der Gastgeber teilt die Gäste zum Bridgespiel auf: in dem einen Raum die Spürnasen, im anderen (in dem auch er selbst etwas abseits sitzt) die Verdächtigen. Und genau: Plötzlich ist der Gastgeber tot! Man muß nicht Bridge können, um den Mord zu verstehen, aber vielleicht haben Bridgefans Spaß daran, wie Poirot mithilfe der gespielten Runden den Charakter der Spieler ermittelt … Und es wird unglaublich viel Tee getrunken.
Ariadne Oliver gehörte natürlich zur Spürnasenrunde, in der außer Poirot noch ein Polizist und ein Armeeoffizier (vermutlich im Spionagedienst) saßen. Sie ist eine temperamentvolle Frau um die Sechzig, ziemlich chaotisch in ihrem Äußeren und Inneren, aber sympathisch, weswegen auch alle möglichen Leute ihr gern das Herz ausschütten. Mit der von ihr hochgeschätzten weiblichen Intuition rät sie wild herum und liegt mal richtig, mal total daneben. Besonders amüsiert haben mich die Passagen, in denen sie über ihr Schreiben redet oder andere schildern, wie sie Mrs. Oliver beim Schreiben beobachten – wirklich köstlich! Aber die Christie wußte ja auch genau, wovon sie sprach, auch wenn ich denke, daß sie NICHT ihre eigene Krimiproduktionsweise schilderte!
Deutschsprachige Ausgabe:
Agatha Christie: Mit offenen Karten. Übersetzt von Hedwig von Wurzian. Scherz, 1954.

Felix Anschütz et al. (H): Nee, wir haben nur freilaufende Eier. Heyne, 2010.
Es ist ja schon alles gesagt! Nur noch nicht von jedem, und da schlägt dann die Individualität voll zu.

6575 (90x150)Gladys Mitchell: Skeleton Island. 1967.
Die Mitchell – aber das weiß ich auch nur aus meinem Stapel an Sekundärliteratur – war in den 1930ern in England eine der großen und erfolgreichen Krimiautorinnen und spielte in derselben Liga wie die Christie und die Sayers. Die kannten sich auch alle persönlich und trafen sich hin und wieder. Doch während Christie und Sayers auch in Deutschland bekannt wurden und blieben, ereilte Mitchell ein trauriges Schicksal: Sie schrieb bis Ende der 1970er VIELE in England erfolgreiche Krimis, und schon kurz nach ihrem Tod war sie so gut wie vergessen. Mag sein, daß vielleicht die späteren Werke nicht ganz an die Qualität ihrer Vorkriegsware heranreichten, dafür kenne ich sie noch zu wenig. Doch andererseits war das bei vielen anderen Detektivromanautoren auch nicht anders, und sie sind trotzdem noch präsent. Was ist also passiert?
Ich glaube, daß es an ihrer Heldin liegt. Mrs. Bradley, die später geadelt wird und dann Dame Beatrice heißt, war ihrer Zeit ohnehin weit voraus, als sie 1929 erstmals auftrat. (Es folgten 65 weitere Krimis mit ihr.) Mitchell, die natürlich die Bücher ihrer Zeitgenossen kannte, parodierte von Beginn an den Detektivkrimi im allgemeinen und manche ihrer KollegInnen im besonderen. Dame Beatrice ist exzentrisch: sie ist häßlich und erinnert an einen Pterodaktylosaurier, sie ist gescheit und sagt gern auch unaufgefordert ihre eigene und völlig unkonventionelle Meinung, sie ist freudianische Psychiaterin und später Beraterin des Innenministeriums, und sie hat mit sechzig noch Sex, einfach mal so. (Ihre spätere Assistentin Laura liebt es, nackt schwimmen zu gehen.) Ihre Ermittlungsmethoden sind, gelinde gesagt, ebenso unkonventionell.
So eine Heldin ist natürlich toll, wenn sie ihrer Zeit voraus ist; aber was ist, wenn die Zeit sich ändert, so wie sie es nach dem Zweiten Weltkrieg getan hat? Da veränderte sich ja nicht nur das Krimigenre (hard-boiled PI und Psychologisches à la Highsmith), nein, auch Dame Beatrice und Laura werden Schwierigkeiten bekommen haben, sich zu orientieren. Was insgesamt das Schreiben von Detektivkrimis klassischer Art erschwert und sie spätestens in den 1970ern als total neben der Spur erscheinen läßt.
Für den deutschsprachigen Raum, und entschuldigt, wenn ich hier noch etwas aushole, kam für Gladys Mitchell und ihre Dame Beatrice nur lauter Pech dazu. In den 1950ern wurden zwei ihrer zeitgenössischen Krimis in einem deutschen Verlag veröffentlicht, der kurz darauf trotz seines anspruchsvollen Programms pleite ging. Ende der 1960er kam noch ein Mitchell-Krimi auf deutsch heraus – als hintere Hälfte eines Ullstein-Doppelbandes, der von vorn so aussieht wie ein Science-Fiction-Roman und im Vorderteil einen ganz anderen Autor und eine ganz andere Art von Krimi enthält. Ich finde es wenig überraschend, daß Mitchells Buch kaum Beachtung fand – und nachdem ich es jetzt gelesen habe, kann ich auch nur sagen, daß dieses Werk wohl nicht zu den besten von ihr gehört.
Zum Buch: Viel Hin und Her auf einer südenglischen Kanal-Halbinsel, ein irgendwie halbherziger Mord und Ermittlungen, die überwiegend im Off stattfinden … und viel zu wenig Dame Beatrice.
Schade, schade! So entgeht dem deutschsprachigen Publikum eine der ungewöhnlichsten Gestalten der klassischen englischen Krimiliteratur, und inzwischen ist es auch wenig wahrscheinlich, daß sie (oder andere vergessene und unterschätzte aus dieser Szene) jemals den Weg zu uns finden. Immerhin wird sie derzeit in England wiederveröffentlicht, und ich habe die Hoffnung, irgendwann eine komplette 66bändige Beatrice fein der Reihe nach lesen zu können – und wer weiß, vielleicht auch einen der anderen Krimis, die Mitchell unter Pseudonym schrieb. Und wie gern hätte ich auch sie selbst kennengelernt!
Deutschsprachige Ausgabe:
Gladys Mitchell: Mord auf Skeleton Island. Übersetzt von unbekannt. Ullstein, 1969.

3842 (93x150)Agatha Christie: Dead Man’s Folly. 1956.
Zum Buch: Nachdem ich nun so weitschweifig war, mach ich es hier kurz: Dieser Krimi ist womöglich noch konstruierter als Cards on the Table, und als einzige Highlights erschienen mir Mrs. Oliver, die in einem Landhaus ein Mörderspiel inszenieren soll (wieder sehr lustige Beschreibungen des Schreibens von Krimis!), sowie das drumrum stattfindende klassische englische Sommerfest, so wie es mittlerweile einigen von uns aus der TV-Serie mit Inspektor Barnaby vertraut ist.
Ich habe sowohl Folly als auch Cards auf deutsch gelesen, weil ich die englischen Ausgaben noch nicht habe. Vielleicht sind die ja irgendwie anders?
Deutschsprachige Ausgabe:
Agatha Christie: Wiedersehen mit Mrs. Oliver. Übersetzt von Dorothea Gotfurth. Scherz, 1959.

Aktuell:
… arbeite ich mich noch durch ein paar ältere US-Krimis, die ich in meinem Vortrag auch erwähnen wollte, aber so weit kam ich nicht, weil ich viel zu viel quatsche! (Es gab auch viele weiterführende Zwischenfragen.) Also davon demnächst, wenn ich sie auch wirklich durch hab.

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Mai 2013

31. Mai 2013

Liebe Lesende,
wie schon im Vormonat angedeutet, war mein reales Leben ein ziemlicher Störfaktor, was die Lektüre betraf. Doch ein paar Werke habe ich immerhin geschafft.

0776 (98x150)Wolfgang Schivelbusch: Das Paradies, der Geschmack und die Vernunft. Hanser, 1980.
Abrupter Themenschwenk zur Geschichte der Genußmittel! Dieses Buch hat mir ein Freund geschenkt, der alles von Schivelbusch gelesen hatte und toll fand.
Zum Buch: Der Historiker Schivelbusch widmete sich zunächst der Geschichte der Eisenbahnreise, bevor er die Genußmittel (Gewürze, Kaffee/Tee, Tabak, Branntwein, „Rauschgift“) auf ihre Rollen hin untersuchte, die sie im Lauf der Zeit in der europäischen Geschichte und Gesellschaft spielten. Das ist hochspannend zu lesen, man sagt oft „aha!“ und „ach!?“, und man betrachtet sich nach der Lektüre doch mit ganz neuem Blick im eigenen Alltag … jedenfalls ging es mir so, als ich das Buch jetzt nach längerer Zeit wiederlas, auch wenn manche der Vorhersagen bezüglich des Genußmittelgebrauchs dreißig Jahre später – heute – nicht eingetroffen sind. Um Euch den Mund wäßrig zu machen: Es wird erläutert, wie im Mittelalter die Gewürze als Vorgeschmack des Paradieses und Statussymbol schlechthin galten, wie nach Entdeckung der Neuen Welt Kaffee der bürgerlichen Nüchternheit entgegenkam und Schokolade dem adligen Genußstreben, wie die Verwendung von Tabak im Lauf der Zeit die Beschleunigung des Lebens spiegelt, wie mit Branntwein die Arbeiter in der Industrialisierung betäubt wurden und wie mit „Rauschgift“ Politik betrieben wurde (und bestimmt auch immer noch wird).
Schivelbuschs Eisenbahnreise fand ich damals ein wenig sperrig, aber ich entsinne mich, wie ich Lichtblicke (Wirkung des elektrischen Lichts im 19. Jahrhundert) verschlungen habe, und Die Bibliothek von Löwen auch (über die Zerstörung der Unibibliothek im belgischen Leuven im Ersten Weltkrieg durch die Deutschen, den mühseligen Neuaufbau und die erneute Zerstörung im Zweiten Weltkrieg). Von seinen neueren Themen finde ich auf den ersten Blick das Buch über das Geistesleben in Berlin 1945-48 am interessantesten.

1463 (88x150)C. J. Cherryh: Heavy Time. 1991.
Hard-core-Science-Fiction, könnte man sagen. Durchaus auch dystopisch, denn ich weiß nicht, wer in solch einer Zukunft wirklich leben will – genauer gesagt, in solch einer Umgebung mit solch einem Job.
Zum Buch: Auf ein Notsignal hin fliegen zwei Bergleute, die mit einem kleinen Raumschiff im Asteroidengürtel Erzvorkommen lokalisieren, zu einem anderen kleinen Bergbauschiff und retten den einen Piloten, der – wie wir erst sehr viel später erfahren, jedoch von Anfang an ahnen – bereits siebzig Tage im All treibt. Seine Co-Pilotin ist bei einem Zusammenstoß mit einem größeren Raumschiff außerhalb des Schiffs verlorengegangen. Der Verunglückte ist halb irre geworden und macht seinen beiden Rettern in dem engen Schiff viele Schwierigkeiten – nicht daß die beiden sie untereinander nicht schon hätten, denn sie sind sich in Alter und Weltsicht eher fremd, obwohl sie Geschäftspartner sind und in allem aufeinander angewiesen. Nach vielen quälenden Seiten – quälend, weil die Autorin es hervorragend schafft, die Spannungen zwischen den drei Männern mit fast stream of consciousness zu verdeutlichen – kommen sie an der Station an. Zunächst wollen die Behörden den „Unfall“ vertuschen, doch ehe sie es sich versehen, wird ein Politikum daraus, das beinahe einen Aufstand verursacht … Es gibt eine Lösung, die alle überleben, aber Happy-End würde das niemand nennen.
Hinter dieser Geschichte wird die Zeit und Gesellschaft deutlich mit all ihren technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen, politischen Fehlentscheidungen und allen Auswirkungen, die das auf den einzelnen Menschen hat. Wir sehen hier zwar nur den Ausschnitt, der die Bergbauunternehmen im Asteroidengürtel unserer Sonne betrifft, aber unheimliche Parallelen zu unserer jetzigen Zeit werden mehr als offensichtlich. Und was die Autorin auch hervorragend und spannend erzählen kann, sind die Verflechtungen zwischen Bürokratie, Wirtschaft und „der Masse“; ich würde das nicht „unterhaltsam“ nennen, aber atemlos gelesen habe ich es doch, obwohl ich das Buch schon von früher kannte.
Deutschsprachige Ausgabe:
C. J. Cherryh: Schwerkraftzeit. Übersetzt von Rosemarie Hundertmarck. Heyne, 1993.

Felix Anschütz et al. (H): Entschuldigung, sind Sie die Wurst? Heyne, 2009.
Zufällig entdeckt. Aufgeschlagen. Viel gelacht. Nach der Hälfte unwillig weggelegt, weil ich dazu gezwungen wurde (meine Mutter wollte endlich mit mir frühstücken). Weitergelesen. Weitergelacht. Geärgert, als es zu Ende war.
Ein paar Tage später zufällig den zweiten Band entdeckt. Auch schon durch. (Das ist aber ein Juni-Buch!)
Die Idee ist so naheliegend, daß man sich wundert, daß noch niemand vorher drauf gekommen ist: Man richte ein Internetblog ein, in dem alle posten können, was sie an skurrilen Dialogen in der Welt um uns herum belauscht haben.
Und dann wähle man die besten Beiträge aus und veröffentliche sie als Buch. (Ich sehe gerade: Band 3 gibt’s auch schon.)
WARNUNG! Sparsam dosiert lesen!
(Anmerkung: Ich bin ja immer sehr für Wortschatzerweiterung. Nun konnte ich meinen durch den Begriff „Checker“ erweitern – war mir vorher völlig unbekannt. Dieses Wort ist zwar vermutlich auch schon wieder aus der Mode, aber ich hab es seitdem tatsächlich im normalen Gespräch mit Freunden auch „in echt“ gehört. Ursprünglich war’s wohl mal positiv gemeint für „hat Erfolg bei Frauen“, „blickt voll durch“ und ähnlich, aber inzwischen scheint es fast nur noch abwertend eingesetzt zu werden. Meine Freunde bezeichneten damit einen Siebzehnjährigen, der generell eine große Klappe hat und stolz darauf war, noch nie ein Buch gelesen zu haben …)

Aktuell:
Wie gesagt, mehr „Belauschtes“ und einige alte Krimis aus Frauenhand, vor allem wegen meines Vortrags über „Weibliche Spürnasen im besten Alter“. (Und natürlich auch noch all das Angelesene der vorigen Monate.) Aber läd nicht das wunderbare Spätfrühlingswetter direkt zum Lesen an einem gut geheizten Kamin ein?!?!?

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April 2013

30. April 2013

Liebe Leserinnen und Leser,
die Ausbeute des abgelaufenen Monats ist vielseitig, nicht nur, was den Umfang mancher Bücher angeht. Folgen Sie mir in die erdachten Welten, auch wenn sie manchmal wenig von dieser Welt sind!

5453 (89x150)Terry Pratchett: The Wee Free Men. 2003.
Zu viel Terry Pratchett kann schnell zu viel sein, aber in Häppchen – buchweise also – ist er immer toll. (Auch spannend: seine Bio.) Dieses Buch war der Tip eines Freundes. Es richtet sich zwar eher an ein jüngeres Publikum, sagt der Verlag, aber ich finde, das merkt man nicht, wenn man das nicht weiß, und einfach nur so zum Spaß liest. Es gibt schließlich auch andere Werke, deren ProtagonistInnen Kinder sind und die damit nicht automatisch zu Kinderbüchern werden …
Zum Buch: The Wee Free Men ist der Start einer neuen Teilserie in Pratchetts Scheibenwelt-Universum und erzählt, wie die junge Hexe Tiffany Aching ihr Hexentalent entdeckt und erstmals einsetzt. Sie verfährt nach learning by doing, und zimperlich ist sie dabei nicht gerade.
Jetzt als Erwachsene mag ich diese wahnsinnig zielstrebigen weiblichen Gören, aber ich glaube, als Kind hätte mich Tiffany arg eingeschüchtert, auch wenn sie keineswegs perfekt oder frei von Zweifeln ist. Und weil ich Pratchetts Talent, immer wieder etwas völlig auf den Kopf zu stellen oder schraubenartig seitwärts zu verdrehen, sehr bewundere, kann ich ihn jetzt unbeschwert genießen und lachen und staunen.
Deutschsprachige Ausgabe:
Terry Pratchett: Kleine, freie Männer. Übersetzt von Andreas Brandhorst. Goldmann, 2005.

4322 (93x150)Ann Granger: Say It With Poison. 1991.
Zum Buch: Das ist der erste Krimi der Britin Ann Granger und der Start ihrer Serie um die Botschaftsmitarbeiterin Meredith Mitchell und Chief Inspector Alan Markby. Noch ist Meredith nur zu Besuch im ländlichen Oxfordshire, wohin sich ihre Cousine, ein früherer Filmstar, zurückgezogen hat. Deren Tochter will einen Londoner Finanzexperten heiraten und möchte ihre Lieblings- und einzige Tante dabeihaben. Doch es gibt auch in der kleinsten Familie tiefe und mitunter tödliche Geheimnisse, wie Meredith erkennen muß, als sie einen benachbarten Maler und Töpfer tot in seinem Atelier findet … Am Ende bleibt offen, ob Meredith nach England und vielleicht auch zu Markby zurückkehren wird, aber sie hat immerhin zusammen mit dem Fall auch ein paar private Verwicklungen aufgeklärt.
Die Serie ist sehr erfolgreich in Deutschland, weil sie unsere typischen Vorurteile über England – besonders die positiven! – bestätigt: ein moderner cozy mit viel ländlichem Englandflair und Familiengeheimnissen, Gärten und Giften, einer zeitgemäßen Liebesgeschichte und Hauptfiguren, die keineswegs stromlinienförmig sind und deren Umgang miteinander viele Möglichkeiten verspricht. Die Autorin ist eine hoch gebildete und weltgewandte Frau, sympathisch und sehr ladylike und mit subtilem Humor, und ich treffe sie immer wieder gern!
Deutschsprachige Ausgabe:
Ann Granger: Mord ist aller Laster Anfang. Übersetzt von Edith Walter. Bastei, 1997.

1309 (89x150)Ingrid Bachér: Die Tarotspieler. Rasch und Röhring, 1986.
Buchstabe B aus meiner Lesereihe „Deutschsprachige Autorinnen aus eigenen Buchbeständen“. Das Buch hatte ich damals gekauft, weil es auf einem Kongreß für ÜbersetzerInnen spielt und auch Tarotkartenlegen vorkommt, hatte es aber wohl nie ganz gelesen. Nun aber war seine Stunde gekommen!
Zum Buch: Laut Klappentext handelt es sich um einen „philosophischen Roman“. Ich weiß jetzt immer noch nicht, wie das eigentlich gemeint ist, vielleicht bin ich auch nicht so ganz die Zielgruppe. Aber als Übersetzerin habe ich gegrinst, als ich die Schilderung des Kongreßablaufs las, selbst wenn da einige skurrile Übertreibungen eingebaut sind (ein junger Wilder verlangt, daß die KollegInnen in Streik gehen und viel gebrauchte – quasi verbrauchte – Wörter nicht mehr benutzen, ja, sich auf überhaupt nur ganz wenige beschränken; damit soll die Welt sich der Kostbarkeit von Wörtern bewußt werden …), und gedacht: Ja, genau so läuft es ab! Obwohl der Kongreß im Buch in San Remo stattfindet, sind die hauptsächlich auftretenden Figuren alle deutschsprachig (nach meiner Erfahrung glucken die bei internationalen Veranstaltungen nicht so zusammen). Abends sitzen sie immer auf der Terrasse und legen Tarotkarten, nach denen sie einander Geschichten erzählen. Es geht um (Liebes-)Beziehungen und um Intellektualität, und vermutlich weil ich nicht zur richtigen Zielgruppe gehöre, fand ich viele Passagen eher verschenkt und ein bißchen zu sehr konstruiert. Auch hatte ich Probleme, die Figuren auseinanderzuhalten; aber wahrscheinlich sollten sie ja auch nicht als Individuen rüberkommen, sondern als Prinzipien, und so was ist an mich natürlich total verschwendet …
Trotz des für mich manchmal schwierigen Dabeibleibens hab ich das Buch jetzt komplett gelesen, und ich hab das auch gern getan; die Konstruktion von Rahmenhandlung (ÜbersetzerInnen-Kongreß) und Binnenerzählungen (nach Tarotkarten) finde ich gut, selbst wenn sie literarisch nun nicht so wahnsinnig originell ist, und natürlich hab ich die Details zum Kongreß und aus den jeweiligen ÜbersetzerInnen-Leben genossen – die Autorin weiß aus eigener Erfahrung, wovon sie da spricht, und sie war und ist aktiv in diversen SchriftstellerInnenverbänden. Ihr Werk umfaßt Kinder- und Jugendbücher sowie Romane und Erzählungen, die sich an Erwachsene wenden, dazu Reiseschilderungen.

2778 (96x150)Lesley Egan: A Case for Appeal. 1961.
Lesley Egan ist eins der zahlreichen Pseudonyme von Elizabeth Linington, einer überaus fleißigen amerikanischen Krimiautorin (1921-1988).
Zum Buch: Mit diesem Band startete Egan im Grunde gleich zwei Reihen: die eine mit dem sympathischen und gut aussehenden jungen Anwalt Jesse Falkenstein in Los Angeles, die andere mit dem sympathischen und gut aussehenden jungen Polizisten Vic Varallo in Glendale in Kalifornien. Die beiden kennen sich von der Uni, weswegen Vic in diesem Buch Jesse bei einem kniffligen Fall zu Hilfe ruft. Noch befinden wir uns in dem kleinen Ort Contera. Jesse soll vor Gericht eine Frau vertreten, die Vic für unschuldig hält – leider gibt es sieben Zeugen, die Ruth Vernis belasten, am Tode von zwei Frauen schuld zu sein, die beide kurz zuvor abgetrieben haben. Und weil Ruth noch nicht lange in Contera wohnt und die Tochter eines Arztes ist, wird sie natürlich auch gleich dieser Abtreibungen verdächtigt. Vor Gericht verliert Jesse, aber er geht in Berufung, und bis dahin prüft er eingehend, ob die Zeugen auch wirklich die Wahrheit gesagt haben.
Die Autorin zeigt eigentlich ganz gut, wie provinzielle Vorurteile und kleinstädtische Verflechtungen zusammenwirken beim Vertuschen eigener Fehltritte und dem Abschieben der Schuld auf Unbeteiligte, und sie macht auch deutlich, wo die sozialen Schichten im Westen der USA Anfang der 1960er genau verlaufen. So konnte ich all die sympathischen und gut aussehenden jungen Leute (auch Vic hat da eine, die er liebt) ab und zu mal ausblenden und diesen wirklich spannend und zügig erzählten Krimi genießen, obwohl Justizkrimis sonst nicht so ganz mein Fall sind. Da ich nur die deutschsprachige Fassung gelesen habe (in deren Klappentext Lesley Egan als „er“ bezeichnet wird), kann ich nicht sagen, ob gekürzt wurde; falls ja, dann war das eine ordentliche Arbeit, wie auch die Übersetzung gut lesbar ist. Und ich freue mich darauf, Jesse und Vic wiederzubegegnen!
Deutschsprachige Ausgabe:
Lesley Egan: Ein Fall für die Berufung. Übersetzt von Tony Westermayr. Goldmann, 1962.

Mary Scott: Strictly Speaking. 1969.
Eigentlich habe ich dieses Buch nur versehentlich gelesen (weil ich schnell Lektüre für die U-Bahn brauchte), denn von Mary Scott wollte ich in erster Linie die Krimis sammeln und nicht ihr komplettes Werk. Nach dem deutschen Titel jedoch hoffte ich, daß es im besagten Teehaus auch reichlich Leckereien zu essen gibt, und wollte diese Schilderungen genießen. Ich sag’s mal gleich: Ja, es gibt viel zu essen, und nein, wir erfahren leider keinerlei Einzelheiten darüber …
Zum Buch: Hingegen erfahren wir viel über das Leben und besonders die Liebesverwicklungen der beiden Hauptfiguren, Freundinnen aus der Schulzeit. Sie treffen sich nach einiger Zeit der Trennung wieder, ziehen zusammen, gewinnen im Lotto und legen das Geld in einem Haus im Grünen an, in dem sie ein Café („tea room“) eröffnen. Die eine trauert noch einem Jüngling nach, der sie nach einem Streit wortlos hat sitzenlassen; die andere verliebt sich schnell in den Vorbesitzer des Hauses, trotz ihres großen Altersunterschieds (die Mädels sind Anfang zwanzig, der Ex-Besitzer knapp vierzig oder so, jedenfalls uralt). Nach einigem Hin und Her kriegen sie sich natürlich, und weil ja dann selbstverständlich (da es 1969 auch in Neuseeland nicht anders denkbar war, schätze ich) die eine das Café aufgeben muß, wird für die andere auch noch schnell der Wortlose herbeigezaubert, der natürlich ganz unschuldig ist an der Wortlosigkeit. Seufz. Wir erfahren leider nicht, was letztlich aus dem Café wird. (Ich muß mir so ein Buch vermutlich selbst schreiben.)
Beim Lesen dachte ich dauernd: All diese Problemchen hätten sich gleich vermeiden lassen, wenn die Figuren mal richtig miteinander geredet hätten, sich hätten ausreden lassen und nicht ständig irgendwelchen eigenen Vermutungen vertraut, sondern einfach mal nachgefragt hätten. Natürlich hätte die Autorin dann keinerlei Plot mehr gehabt!
Deutschsprachige Ausgabe:
Mary Scott: Das Teehaus im Grünen. Übersetzt von Nora Wohlmuth. Goldmann, 1976.

4230 (90x150)C. J. Cherryh: Downbelow Station. 1981.
Zum Buch: Wir befinden uns im Jahre 2352. Die raumfahrende Menschheit hat im Orbit um Tau Ceti einen Planeten gefunden, der von denkenden Wesen besiedelt ist – die ersten intelligenten Lebensformen, die entdeckt wurden, der erste für Menschen nicht unmittelbar tödliche Planet. Dennoch verfahren sie nach bewährtem Muster und bauen, wie schon in so vielen anderen Planetensystemen, eine Raumstation, auf der die Menschen leben und arbeiten. Downbelow, wie sie den Planeten nennen, besuchen sie nur wenig. Doch dann bricht zwischen den verschiedenen Fraktionen der raumbewohnenden Menschheit Krieg aus, und die Station liegt plötzlich mittendrin. Sie wird von Flüchtlingen überschwemmt, und während die Stationsbewohner noch mit diesem Problem ringen, nähern sich die Flotten der Gegner: die Raumschiffe der mächtigen Erdkompagnie, die ursprünglich den Weltraum erforschte, und diejenigen der Menschen, die bereits im All, auf Stationen um fremde Sonnen, auf anderen bewohnbaren Planeten geboren wurden und nun nicht mehr einsehen, daß die Erdkompagnie weiter über sie bestimmen soll – wobei die Erdkompagnie nicht identisch ist mit der Regierung der Erde, die jegliche Expansionspolitik ablehnt. Und es gibt Verräter und Überläufer in alle Richtungen, aus Angst, aus Gier, aus Verzweiflung, aus Machtstreben oder weil ihnen nichts anderes mehr geblieben ist. Daß dabei sowohl die Station als auch die Einheimischen von Downbelow am meisten zu verlieren haben, kümmert die anderen Fraktionen nicht.
Trotz des exotischen SF-Settings ist dies letztlich ein eher politischer Roman, und auch wenn Raumschiffe und Sterne und Aliens darin vorkommen, handelt er von menschlichen Problemen, vor allem denen, die sie miteinander haben. Ich habe das Buch schon mehrfach gelesen, wie die meisten Romane von C. J. Cherryh, und finde es immer noch gut, und es ist auch heute noch alles andere als veraltet.
Deutschsprachige Ausgabe:
C. J. Cherryh: Pells Stern. Übersetzt von Thomas Schichtel. Heyne, 1984.

0161 (115x150)Hans Joachim Alpers,  Werner Fuchs und Ronald M. Hahn: Dokumentation der Science Fiction ab 1926 in Wort und Bild. Tandem, 1978.
Das ist eigentlich kein Buch, sondern eine Zeitschrift, die angeblich alle Vierteljahre mit verschiedenen Themen erscheinen sollte; aber so weit ich das ersehe, ist wohl nur diese erste Nummer (ohne Nummer) veröffentlicht worden.
Zum Buch: Das 130 Seiten starke Heft bringt vor allem die Geschichte der SF in den USA und in Deutschland im „Wort“; der Bereich „Bild“ besteht aus zahlreichen Cover-Abbildungen früher SF-Zeitschriften und Bücher, vorwiegend aus den USA (das ist auch interessant, aber weniger durchstrukturiert). Nach einem kleinen Lexikonteil mit Kurzbios der bekanntesten SF-AutorInnen aus den USA und England folgt eine Liste der „wichtigsten“ Romane, und dann geht es erst richtig los: Fünf Aufsätze beschäftigen sich mit der SF ab 1926, der SF in Deutschland ab 1952, den jeweiligen Vorläufern in englischsprachigen bzw. deutschsprachigen Landen, und abgerundet wird das Ganze mit einem kurzen Exkurs über die Geschichte der Unterhaltungsliteratur (für Deutschland bis 1952) und welche Bedingungen für ihr Entstehen im 19. Jahrhundert erfüllt sein mußten.
In dieser gedrängten und thematisch breiten Form gab es Ende der Siebziger noch gar nichts in deutscher Sprache über Science Fiction, geschweige denn über die deutschsprachige SF überhaupt. Glücklicherweise konnten die Autoren des Hefts etwas später ihr Wissen in einem zweibändigen Lexikon ausbreiten; eine Heftpublikation hat es doch wirklich sehr schwer, zu überleben, und ich kann heute auch nicht mehr sagen, wie ich (vermutlich 1978) daran gekommen bin. Trotz aller Tippfehler ist das Heft immer noch ganz gut zu lesen und überhaupt auch ein wichtiger Baustein der SF-Sekundärliteratur, und ich bin sehr froh, daß ich es habe. (Die frühen SF-Cover wirken heute doppelt skurril!)

Aktuell:
Viel angelesen, teils noch im Vormonat – Krimi, Science Fiction, Kinderbuch, Astrophysik, Lyrik, Erotica und Gartenbuch -, aber zur Zeit ruft das reale Leben stark nach mir, da komme ich kaum dazu, mich hinzusetzen und in Lektüre zu versenken …

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