November 2013

30. November 2013

Liebe Reisend-Lesende und Lesend-Reisende,
der Monat war geprägt von Geschichte auf vielerlei Ebenen, sei es im Sachbuch, sei es in der Belletristik.

Hans-Otto Meissner: Eisenbahn-Safari. Bertelsmann, 1980.
Über den Meissner hatte ich ja neulich schon berichtet, und als mir jetzt dieser Band mit Erlebnisberichten von seinen Eisenbahnreisen in die Hände fiel, hab ich ihn gern gelesen.
Zum Buch: Es hat schon was schwer Zeitreisendes, wenn ich heute (2013) in einem Buch von 1980 lese, wie der Autor 1936 von Schanghai nach Peking reist, und da er das etwa 1980 auch erst so geschrieben hat, finden sich im Text Erklärungen zur chinesischen Geschichte von 1936 und 1980, während ich jetzt vieles noch einmal nachschlagen mußte, denn in China ist die ganze Zeit über doch reichlich viel passiert … Weitere Bahnfahrten unternimmt Meissner gezielt, und in jedem Bericht ist seine Begeisterung über diese Art des Reisens mehr als deutlich spürbar. Er sagt auch selbst, daß er einige Strecken gefahren ist, weil er sie noch mit den historischen Zügen erleben wollte. Dazu gehört auf jeden Fall die australische Reise von Alice Springs nach Adelaide, aber mittlerweile bestimmt auch einige andere, und viele nicht nur aus technischen Gründen. Meissner fuhr in Australien auch von Sydney nach Perth und zurück; unternahm in Südamerika eine Reise von Buenos Aires nach La Paz; in Nordamerika von Los Angeles nach New York sowie von Vancouver nach Montreal; von Hannover bis Yokohama über Moskau und Nachodka (zumindest bis Moskau kann ich seine Eindrücke so gut nachvollziehen, war ich doch nur wenig später auf dieser Strecke selbst unterwegs); außerdem auch von Istanbul nach Teheran (1974); und mit einem Sonderluxusdampfzug kreuz und quer durch Südafrika. Und natürlich war er auch im Orient-Express unterwegs, dessen Geschichte er ausführlich schildert.
Es gibt im Buch ein paar Fotos, die seine Berichte illustrieren, aber mehr noch hätte ich mir bessere Karten gewünscht als diejenigen, die mit abgedruckt sind, denn nicht in allen sind seine Reisestrecken markiert. Ich bin zwar nicht unbedingt Eisenbahnfan (die Deutsche Bahn verleidet einem das oft erfolgreich), aber irgendwie doch, denke ich, wenn ich mich zum Beispiel vor dem Fernseher dabei erwische, daß ich solche Reisedokus (zum Beispiel durchs südliche Afrika) und Porträts historischer Dampfloks und ihrer Strecken ansehe (etwa in der SWR-Serie Eisenbahnromantik). Schönes Buch also, gerade heute besonders lesenswert.

Christie_Big4 (88x150)Agatha Christie: The Big 4. 1927.
Also wenn Christie eins nicht kann, dann Krimis mit internationalen Geheimgesellschaften von Verbrechern. Warum sie besonders in ihrem Frühwerk so oft darauf zurückgreift, ist mir schleierhaft. Die Zeit hat ja auch gezeigt, daß sie nicht deswegen berühmt geworden ist! Bei diesem Buch hatte ich mich gewundert, warum es teils als Roman, teils als Storyband aufgeführt wird, und siehe da: Es ist tatsächlich beides.
Zum Buch: Poirot ist einer internationalen Geheimgesellschaft von Verbrechern auf der Spur, die von vier besonders verbrecherischen Gestalten angeführt wird – sie sind Poirot irgendwie auf die Füße getreten, und jetzt nimmt er das so persönlich, daß er quasi in eigenem Auftrag ermittelt.
Jedes Kapitel ist zugleich ein in sich abgeschlossenes Abenteuer auf der Jagd nach den „Big 4“ wie eben ein Abschnitt der gesamten Jagd, so daß das Buch sich wie Fortsetzungsroman liest. (Ah – ich sehe gerade, daß dem in der Tat so ist; die einzelnen Kapitel erschienen als Fortsetzungsstories in einer Zeitschrift und wurden erst drei Jahre später zu einem Buch zusammengefaßt.) Insgesamt heute eher zäh zu lesen dank der vielen gleichartigen Versatzstücke, und da hilft es auch nicht, daß die Handlung eh unglaubwürdig ist.
Deutschsprachige Ausgabe:
Agatha Christie: Die großen Vier. Übersetzt von Hans Mehl. Scherz, 1963.

0237 (88x150)Daniele Varè: The Maker of Heavenly Trousers. 1935.
Noch ein Buch aus meiner Kindheit, so seltsam das klingen mag … Meine Eltern hatten zwar nicht viele eigene Bücher (wir haben uns kollektiv durch die Stadtbücherei „gefressen“), aber eine Handvoll der frühen Rowohlt-Taschenbücher standen schon herum, und wenn ich mal krank war und deshalb mehr Lesestoff brauchte als sonst, griff ich auch in dieses Regal. Dort stand unter anderem die China-Trilogie von Daniele Varé, offenbar ein Erfolgswerk der späten 1950er, obwohl bereits 1936 erstmals auf Deutsch erschienen.
Zum Buch: Der erste Band, also der Schneider, erzählt von einem europäischen Schriftsteller (woher genau, wird, glaube ich, nie gesagt), der 1917 in Peking lebt. Er nimmt ein italienisches Mädchen in seinen Haushalt auf, deren Mutter tot und Vater ständig beruflich unterwegs ist, und verliebt sich in sie; sie heiraten auch später. Umrahmt von Schilderungen seines alltäglichen Lebens und dem seiner chinesischen Umgebung schimmert hier und da ein Stück Zeitgeschichte auf: Unter den Europäern, die ebenfalls in Peking leben, sind auch Flüchtlinge aus dem zaristischen Rußland, darunter eine schöne junge Frau, die irgendwie in die Ereignisse um Rasputin und die beginnende Revolution verwickelt ist.
Das fand ich als Kind schon alles sehr exotisch, und als ich es jetzt nach mehr als zwanzig Jahren erstmals wiederlas, noch mehr: eine ungewöhnliche Mischung aus alter chinesischer und europäischer Kultur. Daniele Varé, der Autor, war Italiener, wuchs in England auf und war italienischer Diplomat, unter anderem Ende der 1920er mehrere Jahre in China. Seine Romane und Erzählungen, im Original zumeist auf Englisch verfaßt, sind heute anscheinend völlig in Vergessenheit geraten.
Deutschsprachige Ausgabe:
Daniele Varè: Der Schneider himmlischer Hosen. Übersetzt von Annie Polzer. Zsolnay, 1936.

Macdonald_UnterWasser (93x150)Ross Macdonald: The Drowning Pool. 1950.
Auch die „Neuübersetzung“ von 1970, die 1993 nur unter neuem Titel erschien, hätte ein bißchen überarbeitet werden können – inzwischen liest sie sich wirklich leicht angestaubt und beweist damit wieder einmal, daß zwar das Original niemals altert, weil es ja in seiner Zeit bleibt, Übersetzungen aber durchaus, weil das Lesepublikum heute einen anderen Kenntnisstand hat als etwa 1970 oder 1993. Und während die Zeit des Originals beim Lesen deutlich bleibt – Ross Macdonalds Buch spielt eben eindeutig in den späten Vierzigern, der Krieg ist noch nicht lange vorbei, Männer gehen nicht ohne Hut und Frauen verhalten sich seltsam -, so habe selbst ich als Übersetzerin nicht immer klar vor Augen, wann die Übersetzung angefertigt wurde, die ich gerade lese.
Aus diesem Buch hab ich jetzt kein griffiges Beispiel, aber an dieser Stelle zitiere ich gern noch mal mein Lieblingsbeispiel aus dem Filmbereich: In The Last Picture Show / Die letzte Vorstellung von Peter Bogdanovic aus dem Jahre 1971 sprechen sie im Film in der synchronisierten Fassung von „Fußball“, während sie sich eindeutig einen ovalen Ball mit den Händen zuwerfen, und von „Käsetoast“, den es zum Abendessen gibt (und der überhaupt nicht wie Toast aussieht). 1971 mußte man das so machen, weil hierzulande noch kaum jemand wirklich wußte, was Football und Cheeseburger sind, und wir wußten auch quasi nichts über das US-Schulsystem und daß die „highschool“ nicht unbedingt mit unserem Gymnasium gleichzusetzen ist. Und es ändern sich ja auch die Prioritäten in der Übersetzungsarbeit an sich. Heute wäre es eigenartig, diese landestypischen Begriffe überhaupt einzudeutschen – aber vor sechzig, achtzig Jahren (und früher) beispielsweise war es gang und gäbe, gnadenlos alles bis hin zu Eigennamen zu „übersetzen“, so daß man in einem übersetzten US-Roman unter Umständen der Amerikanerin „Frau Müller“ begegnet.
Zurück zu Ross Macdonald, der mit wirklichem Namen Kenneth Millar hieß, aber seiner damals wesentlich erfolgreicheren Frau Margaret Millar keine Konkurrenz machen wollte (so zumindest die Legende).
Dies ist der zweite Band seiner Reihe um den kalifornischen Privatdetektiv Lew Archer, der neben Hammetts Spade und Chandlers Marlowe als einer der frühen großen Privatdetektive gilt. Archers Büro ist in Santa Teresa (das fiktionalisierte Santa Barbara, das – immer noch als „Santa Teresa“ – später auch Sue Graftons Privatdetektivin Kinsey Millhone als Basis dient), aber seine Fälle führen ihn oft in die umliegenden Vororte. Meist geht es um die Vergangenheit der Betroffenen, bis zurück in die Kindheit, in der sie Traumatisches erlebt haben, und wenn Archer ermittelt, dann deckt er quasi schichtweise immer tiefere Ebenen eines zunächst simpel erscheinenden Falls auf. (Aber was erzähle ich Euch schon über Ross Macdonald – bestimmt bin ich die letzte, die seine Bücher noch kaum kennt …)
Zum Buch: Archer wird angeheuert von einer Frau, die erpreßt wird und verhindern will, daß ihr Mann das erfährt. Sie legt Archer auch alle möglichen Steine in den Weg – beispielsweise soll er nicht mit ihrem Mann sprechen. Doch genau das will er natürlich ganz besonders, und so fährt er zum Wohnort ihrer Familie und lernt bald alle kennen, auch die Tochter seiner Klientin, ihre Schwiegermutter und den Chauffeur. Es geht nach der ersten Leiche schnell nicht mehr um die Erpressung, sondern um Geld, um Öl und vor allem um Macht, und alle sind bestrebt, alles zu vertuschen oder die Morde einem Außenseiter anzuhängen.
Ich kannte das Buch bislang noch nicht und hab beim Lesen dauernd gedacht: Wie würde man diesen Stoff heute präsentieren? Aber viel anders ist es heute sicher nicht, was das Verbrechen betrifft, doch beim Erzählen müßte man heute alle Frauen stark überarbeiten!
Deutschsprachige Ausgabe:
Ross Macdonald: Wer zögert, ist verloren. Übersetzt von Dietrich Bogulinski. Amsel, 1955. / Neu übersetzt von Hubert Deymann unter dem Titel: Kein Öl für Mrs. Slocum. Rowohlt, 1970. Auch unter dem Titel: Unter Wasser stirbt man nicht! Diogenes, 1976.

Aktuell:
Vorwarnung – ziemlich viel Pferdekrimi!

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Oktober 2013

31. Oktober 2013

Verehrte Leserinnen und Leser,
kurz vor der Frankfurter Buchmesse glaube auch ich oft, daß ich doch mal mehr Aktuelles lesen sollte – und das fiel mir in diesem Jahr nicht schwer, allerdings nicht unbedingt das, was allerorts annonciert wird. Nach der Buchmesse ist es noch schlimmer, weil ich ja aus diesen Tagen doch nicht ohne Bücher herauskomme … Doch bis ich sie dann auch lesen kann, sind sie oft nicht mehr „aktuell“. Mir macht das gar nichts, wenn sie gut sind!

image11 (104x150)Luise Berg-Ehlers: Mit Miss Marple aufs Land. Sandmann, 2013.
Das ist ein wahrer Schatz! Luise Berg-Ehlers, eine mittlerweile pensionierte Studienrätin aus Bochum, ist eine große und begeisterte Kennerin englischer Lebensart (und von Theodor Fontane, aber von diesen Büchern hab ich noch keins gelesen), die sie gern und gekonnt anhand von Krimis vermittelt.
Zum Buch: In diesem Buch faßt sie die Eigenheiten des englischen Landlebens zusammen: Pubs und Tearooms, Kirchen, Sport und Feste, Cottages und Castles, garniert es mit Exkusionen nach Bath, Oxford, Cambridge und London sowie in das fiktive Kingsmarkham (von Ruth Rendell) und rundet alles ab mit Informationen und Romanauszügen früherer und heutiger Queens of Crime, als da wären: Agatha Christie, Daphne du Maurier, Elizabeth George, Caroline Graham (Barnaby!), Ann Granger, P. D. James, Ngaio Marsh, Val McDermid, Ruth Rendell, Dorothy L. Sayers, Veronica Stallwood, Minette Walters und Patricia Wentworth.
Das alles ist sicherlich nicht neu, aber hier ist es so liebevoll und anschaulich präsentiert und genau so, wie es deutschsprachige England-Fans sich wünschen würden, auch in der optischen Gestaltung mit vielen Fotos und treffenden Aquarell-Vignetten (von Eva-Maria Salm), dazu natürlich Lesetips zu den Krimis und Sekundärliteratur. Selbst langjährige Sammlerinnen wie ich können in dem Buch noch etwas Neues finden, aber am allerbesten ist es für Einsteigerinnen geeignet, die vielleicht schon das eine Buch oder die anderen Autorin kennen, aber nun – da sie Blut geleckt haben, das nach Earl Grey schmeckt – begierig sind auf mehr, viel mehr.

Martha Grimes: The Man With a Load of Mischief. 1981.
Sofort packte mich dann die Lust, eine Martha Grimes zu lesen, die ja ebenfalls in ihren Inspektor-Jury-Krimis sämtliche Vorstellungen, die Ausländer über England haben, zu einem romantischen Bild voll positiver Vorurteile verwebt.
Zum Buch: Dies ist der erste der Reihe, der auch und gerade in Deutschland sofort sehr erfolgreich war und der bereits alle Versatzstücke enthält, die Grimes in ihren späteren Jury-Romanen teils bis zum letzten Bodensatz auslotet: der melancholische Scotland-Yard-Inspektor mit seinem skurrilen Sergeant Wiggins, dem inkompetenten Chef Racer und dessen unglücklich verliebter und aus der Zeit gefallenen Sekretärin Fiona Clingmore (aus der Reihe „sprechende Namen“ …), nicht zu vergessen Jurys Nachbarin Mrs. Wasserman, eine Überlebende. Dann der Ort des ersten Falls, das fiktive Dorf Long Piddleton irgendwo in Mittelsüdengland (angeblich Northamptonshire) mit all den noch skurrileren Bewohnern, die aber zunächst alle Verdächtige sind, bevor sie in den späteren Büchern zum festen Romanpersonal gehören: allen voran Jurys späterer Freund und Amateurermittler Melrose Plant, ein gutausehender und intelligenter Ex-Adliger; seine zwanghafte Tante Agatha, die für comic relief sorgt; Vivian Rivington, ebenfalls ständig unglücklich verliebt; der bisexuelle, aber sehr tuntig auftretende Antiquitätenhändler Marshall Trueblood; und viele weitere Dorfbewohner, darunter auch zwei Kinder, die cleverer sind, als es erst scheint (Grimes hat immer mindestens ein Kind, das sehr ungewöhnlich auftritt). Als „handelnde Figuren“ könnte man auch die Pubs bezeichnen, nach denen die Jury-Romane benannt sind, oft real existierende Lokale, auf jeden Fall echte Namen.
Leider verliert sich Grimes’ Parodie auf den englischen Landhauskrimi in den späteren Romanen, aber wahrscheinlich wäre es ohnehin unmöglich gewesen, das so lange aufrechtzuerhalten. In diesem ersten Band ist die Parodie jedenfalls noch sehr deutlich spürbar, und ich hab sie gern wieder genossen.
Deutschsprachige Ausgabe:
Martha Grimes: Inspektor Jury schläft außer Haus. Übersetzt von Uta Goridis. Rowohlt, 1987 (überarbeitete Übersetzung 1994).

image12 (99x150)Robin Sloan: Mr. Penumbra’s 24-Hour Bookstore. 2012.
Zum Buch: Auf dieses Buch war ich sehr scharf: Eine wilde Jagd nach einem geheimnisvollen Buch in einem noch geheimnisvolleren Code, ausgehend von einem winzigen Buchladen in San Francisco, der voller Merkwürdigkeiten steckt, wie etwa dem Besitzer, Mr. Penumbra. Kein Geheimnis ist, daß er einer Geheimgesellschaft angehört, die mittels Bücherlesen einem Geheimnis auf der Spur sind, und das schon seit vielen hundert Jahren …
Es war etwas schwierig, an die Originalausgabe zu kommen, aber ich wollte unbedingt die mit dem Schutzumschlag, dessen Motive im Dunkeln leuchten. Leider gestaltete sich auch das Lesen etwas schwierig.
Der Erzähler, ein junger und arbeitsloser Webdesigner, bekommt einen Job in eben dieser Buchhandlung mit ihren seltsamen Kunden und dem seltsamen Buchbestand. Er lernt eine junge Frau kennen, in die er sich auch gleich verliebt, vor allem weil sie eine unglaublich hippe Programmiererin bei Google ist. Es folgen ziemlich viele Kapitel, die im Grunde ein einziges Loblied auf diese Firma sind. Da in meinem aktuellen Leben gerade das Thema Urheberrecht eine ziemlich große Rolle spielte (zum Beispiel war das auch ein Thema bei der Bundestagswahl, wenn auch nicht so großes; und Google hat ja auch eine Reihe von entsprechenden Prozessen am Bein), hab ich nicht mit sonderlich großer Freude davon gelesen, wie hemmungslos Bücher eingescannt werden, ohne die AutorInnen zu fragen (geschweige denn zu bezahlen), und wie überhaupt diese Firma unser aller Leben in seiner Gesamtheit umformen will und vor allem bestimmen … Zum Glück für dieses Buch wendet sich das Blatt radikal, aber davon will ich nun nicht mehr verraten.
Ich bin zwar immer noch nicht sicher, wie kritisch oder unkritisch der Autor der Sache gegenübersteht (ich hätte mir da ein bißchen mehr Tiefe im Text gewünscht), aber wenn man ein nettes Abenteuer mit Büchern lesen möchte, kann man dieses nehmen. Besonders schätze ich die Idee, einen legendären Schriftgestalter auftreten zu lassen, und wie der in die Story eingewoben ist, so daß Fakt und Fiktion nicht auseinanderzuhalten sind, ist schon gut gemacht.
Deutschpsrachige Ausgabe:
Robin Sloan: Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra. Übersetzt von Ruth Keen. Blessing, (angekündigt für März 2014).

image13 (90x150)Dick Francis: Flying Finish. 1966.
Zum Buch: Henry Grey langweilt sich in seinem Bürojob im Lufttransport von Rennpferden und beschließt eines Tages, statt dessen selbst mitzufliegen und sich um die Tiere zu kümmern. Man muß natürlich dazu wissen, daß er nicht nur Amateurjockey ist, sondern auch heimlich einen Pilotenschein gemacht hat, was er vor seiner Familie verbirgt. Er wäre kein Francis-Held, wenn er nicht flugs auch in einen Kriminalfall hineingeraten würde: Mitarbeiter der Frachtfirma verschwinden spurlos. Mithilfe einer hübschen Italienerin forscht Henry nach den Verschwundenen und erlebt plötzlich, wie der Kalte Krieg tatsächlich geführt wird.
Bißchen unglaubwürdig in einigen Passagen, da hat Francis meiner Ansicht nach doch zu dick (hehe) aufgetragen. Aber natürlich völlig okay als Zuglektüre oder so!
Deutschsprachige Ausgabe:
Dick Francis: Mord inbegriffen. Übersetzt von Tony Westermayr. Goldmann, 1967. / Unter dem Titel: Blindflug bei Diogenes, 1993.

image14 (88x150)Lynn Flewelling: Shadows Return. 2008.
Es war Zeit, mal wieder das Genre zu wechseln, und erfreut stellte ich fest, daß ich dieses Buch zwar schon eine Weile hatte, aber noch nicht gelesen.
Zum Buch: Es ist der vierte Band der Nightrunner-Serie mit den Helden Alex und Seregil. Zu Serienbeginn trifft der unbedarfte Alex auf den etwas zwielichtigen Seregil vom Volk der Faie (so ähnlich wie Elben), und die beiden arbeiten dann gemeinsam als Diebe und Spione, aber natürlich nur mit den allerbesten Absichten. Sie verlieben sich auch ineinander, das war – und ist – sehr schön erzählt; aber diese Verbindung entwickelt sich nicht ohne Holpern, woran allerdings eher die allgemeinen politischen Ereignisse in ihrer Welt schuld sind als persönliche Disposition. Im dritten Band stellt sich heraus, daß Alex ebenfalls zu den Faie gehört, zumindest mütterlicherseits, und eben diese Abstammung verschafft ihm im vorliegenden Band echte Schwierigkeiten. Er wird nämlich von einem feindlichen Schwarzmagier gekidnappt und für ein geheimnisvollen Experiment mißbraucht. Auch Seregil wird gekidnappt und muß entdecken, daß hinter dem Plan ein alter Bekannter von ihm steckt.
Die Sache mit dem Experiment zieht sich hin, auch der Konflikt zwischen Seregil und seinem alten Feind; allerdings muß ich rückblickend sagen, daß all dieser Text durchaus seinen Sinn hat, sowohl was die Handlung als auch was die Erzählstruktur betrifft, durch die ich mit den beiden Helden intensiv mitgelitten und -gekämpft habe. Doch, schon gut gemacht und auch spannend zu lesen. Die Autorin hat auch eine andere Serie in ihrer Fantasywelt geschrieben, die ich mit großem Interesse verfolgt habe, und ihre Website finde ich auch einnehmend gestaltet.

image15 (96x150)Robert Galbraith: The Cuckoo’s Calling. 2013.
Ja, nun wissen wir, daß hinter diesem „Autor“ die Rowling steckt, und ich gebe zu, daß ich das Buch nur deswegen gekauft habe. (Ich sammle ja eigentlich keine Krimis von Männern.) Voller Neugier, wie sich Rowling in diesem Genre tut, begann ich also zu lesen.
Zum Buch: Ein berühmtes Model stürzt aus dem Fenster ihrer Wohnung – Selbstmord, sagt die Polizei. Doch ihr Bruder will das nicht so stehenlassen und engagiert einen Privatdetektiv, der diesen schier aussichtslosen Fall neu aufrollen soll.
Ich sag’s gleich: Von mir aus könnte der Prolog komplett wegfallen. Die nötige Info daraus hätten wir ja irgendwann in den ersten Kapiteln bekommen können. (Ich kann Prologe nicht leiden. 95 Prozent sind bestimmt überflüssig.) Ich möchte nämlich gern von spannenden Figuren in die Handlung hineingezogen werden, und im Prolog konnte ich leider keine ausmachen, die mir sympathisch genug erschien. Und so spektakulär ist das Verbrechen ja auch nicht. Sobald jedoch die junge Robin auftaucht, nahm sie mich gleich für sich ein, und ich mochte sehr, wie sie im ganzen Buch mal romantisch, mal pragmatisch aufgetreten ist. Der Hammer ist natürlich der Privatdetektiv Cormoran Strike (und ich hoffe, es gibt mindestens eine Fortsetzung, und ich will, daß er weiterhin in seinem Büro wohnt!), bei dem es Rowling scheinbar mühelos gelingt, ein ruppiges Bündel voller widerstreitender Emotionen als kompetenten Fachmann auftreten zu lassen, dessen Arbeit wir mit zunehmender Spannung und Anteilnahme mitverfolgen. Am coolsten finde ich eigentlich, daß Rowling einen ganz klassischen Privatdetektivroman geschrieben hat, ein Subgenre, das im Moment nicht sehr in Mode ist, und sie jongliert souverän mit den handelsüblichen Versatzstücken und gewinnt ihnen ganz neue Aspekte ab, so daß das Buch in unserer heutigen Zeit prima funktioniert. Ich war auch ungemein erleichtert, daß Rowling sich nicht dem Irrer-Serienkiller-wird-von-Forensiker-gejagt-Subgenre zugewandt hat (wobei der Forensiker wahlweise ein neurotischer alter Mann oder eine hübsche junge Frau ist, deren Mutter ermordet wurde; in beiden Variationen gern von einem Team unterstützt … ach, lassen wir das!), sondern sich mit einer überschaubaren Leichenzahl (ohne langatmige Obduktionen) und logischen Zusammenhängen zwischen ihnen begnügt sowie eben diesem klassischen Privatdetektiv. Kurzum, ich hoffe auf einen zweiten (dritten, vierten …) Band!
Deutschsprachige Ausgabe:
Robert Galbraith: Der Ruf des Kuckucks. Übersetzt von Wulf Bergner, Christoph Göhler und Kristof Kurz. Blanvalet, 2013.

26 (99x150)Gladys Williams: Semolina Silkpaws. 1962.
Dies ist ein Lieblingsbuch aus meiner Kindheit, ja, in meiner ganzen Familie ist Frau Semolina Seidenpfote eine immer noch überaus geschätzte Buchkatze! Geschrieben wahrscheinlich in den 1950ern – im Buch gibt es hin und wieder Telefon und Fernsehen -, atmen diese drei in einem Band zusammengefaßten Bücher jedoch stark viktorianische Atmosphäre.
Zum Buch: Die alleinerziehende (hab vergessen warum – verwitwet?) Semolina zieht mit ihren vier Kindern in die Kleinstadt Katzenham (ach ja! genial übersetzt von meinem geliebten James Krüss!), wo sie trotz ihrer wirtschaftlich prekären Lage schnell zu einer bekannten und geachteten Persönlichkeit aufsteigt. Dies schafft sie durch ihre Resolutheit und ihr originelles Vorgehen, sei es im Abenteuer mit der zugeschlagenen Haustür oder der abgetriebenen Luftmatratze, im Umgang mit dem Räuberkater oder dem gewonnenen Auto.
Man mag heute ihre Erziehungsmethoden etwas kritisch sehen (die Kinder sind ein wenig sehr brav und genderrollen-orientiert), aber jetzt beim Wiederlesen kam ich nicht umhin, Semolina als sehr emanzipiert in ihrer Zeit zu bewundern. Und überhaupt ist sie auch fürchterlich englisch! Über die Autorin ist so gut wie nichts herauszukriegen, auch ist es mir noch nicht gelungen, eine englische Semolina aufzutreiben – aber es ist ja auch die deutschsprachige, die meine Kindheit derart intensiv begleitet hat, daß meine Familie auch heute noch aus den Büchern zitiert.
Deutschsprachige Ausgabe:
Gladys Williams: Semolina Seidenpfote. Übersetzt von James Krüss. Betz, 1965.

Aktuell:
In mehrerlei Hinsicht Historisches.

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September 2013

30. September 2013

Verehrte Leserinnen und Leser,
Empfehlungen sind oft so eine Sache … Von begeisterten FreundInnen, Bekannten oder völlig Wildfremden bekomme ich (mitunter ungefragt) einen Titel oder gleich das Buch selbst in die Hand gedrückt. Schon das schlechte Gewissen treibt mich dann zur Lektüre, weil ich angesichts so einer freundlichen Aufmerksamkeit nicht undankbar erscheinen möchte. In meiner Erfahrung ist das Ergebnis so halbe-halbe: manches bleibt mir einfach fremd und verschlossen, aber es waren auch schon echte Kostbarkeiten dabei!

image3 (97x150)Neal Stephenson: Anathem. 2005-08.
Das Buch wurde mir von einem Freund empfohlen, der mich eigentlich gar nicht recht kennt und im Grunde nur weiß, daß ich Sprache mag – und Stephenson ist in der Tat ein Sprachspieler! Daher bin ich froh, daß ich das Buch auf Deutsch gelesen habe, denn auf Englisch wäre selbst ich vermutlich ins Schleudern geraten. Man muß sich so etwa 200 Seiten lang einlesen (es passiert erst nicht so sehr viel, aber alles wird für später gebraucht), doch als ich das Buch nach tausend (sic!) Seiten zugeklappt hab, fand ich es tatsächlich zu kurz, wie es in einem der Umschlagszitate hieß!
Zum Buch: Es gilt als Science Fiction oder Fantasy, je nachdem, aber geübte LeserInnen haben bereits nach wenigen Seiten den Verdacht, daß es im Grunde eine Parallelweltgeschichte ist. In der Welt dieses Buches also ist alles ein bißchen ähnlich wie bei uns – aber eben nur ein bißchen. Ihre Sprache ist für uns verständlich, nur die Wörter werden anders gebildet (genauer: zahlreiche Substantive und Verben, die diese Welt beschreiben), ihre Geschichte weist etwa dieselben Langzeitrhythmen von Krieg und Frieden und Propheten und so auf, nur hat sich zum Beispiel die gesamte Wissenschaft in eine Art Klöster zurückgezogen, wo die Studierenden und Lehrenden je nach Neigung ein Jahr, zehn Jahre, hundert oder tausend zusammenleben und sich erst nach Ablauf dieser Zeit für zwei Wochen der Welt öffnen. Das Buch beginnt mit einer solchen „Apert“, einem großen Fest. Der Ich-Erzähler aus dem Kloster lernt später, daß er offenbar der einzige ist, der seltsame Himmelsbeobachtungen erklären kann; das führt dazu, daß er das Kloster verläßt und sich auf eine Reise um die halbe Welt begibt.
Ach, dachte ich beim Lesen immer wieder, jetzt kommt sicher dies oder das – aber Stephenson war immer für eine Überraschung gut und brachte „dies oder das“ mit wirklich ganz neuen Drehs. Ich hab mir nun sofort einige seiner anderen Bücher besorgt – erst mal die SF/Fantasy, obwohl er in den letzten Jahren einen sehr breit angelegten historischen Zyklus geschrieben hat, der sicher auch spannend ist.
Deutschsprachige Ausgabe:
Neal Stephenson: Anathem. Übersetzt von Juliana Gräbener-Müller und Nikolaus Stingl. Manhattan, 2010.

Alexandra Cordes: Liebe unter fremden Dächern. Schneekluth, 1983 (?).
Die Cordes war in den 1970er/80er Jahren eine Erfolgsschriftstellerin und schrieb quer durch viele Genres: Familien-, Heimat-, Liebesroman, aber auch solche, die wir heute durchaus als Krimi oder wenigstens Thriller ansehen würden. Ich kannte ihren Namen, hatte aber noch nichts von ihr gelesen, und dies war nun mein erstes. Es ist definitiv kein Krimi, daher möchte ich es als Teil „C“ meines Lesevorhabens „Ich lese deutschsprachige Schriftstellerinnen aus der eigenen Bibliothek“ einsortieren.
Zum Buch: Therese Bender ist fortgeschrittenen Alters, hat ihre Familie im Krieg oder kurz danach verloren, will sich aber mit ihrem Lebensmut nicht unterkriegen lassen. So begrüßt sie es, daß sie neue Nachbarn bekommt, eine junge Familie mit zwei Kindern, um die sie sich gleich, aber behutsam kümmert. Es bleibt Therese auch nicht verborgen, daß es in der Ehe der Eltern kriselt – der Mann geht fremd, was natürlich zu weiteren Problemen führt … Nach und nach wird Therese zu einer Art privater Kindertagesstätte, und ihre Freude daran ruft Neider auf den Plan.
Ach ja, es geht alles gut aus. Und es ist nicht so ganz meine Art von Lektüre. Dennoch hat mich Cordes’ erzählerisches Können einfach so ins Buch hineingezogen, und ich finde, daß sie zu Unrecht heute vergessen ist.

Dick Francis: Smokescreen. 1972 / Knock Down. 1974 / Risk. 1977.
Ja, was soll ich sagen …
image9 (93x150)Zu den Büchern: Smokescreen: Schauspieler Edward Link wird von einer Freundin gebeten, sich ihre Pferde in Südafrika anzusehen und herauszufinden, warum die so schlecht laufen. Er reist nach Kapstadt, macht ein bißchen Sightseeing und stellt drei Dinge fest: Man trachtet ihm nach dem Leben, mit den Pferden stimmt etwas nicht, und der Regisseur seines letzten Films ist ebenfalls anwesend und auf Locationsuche, weswegen sie gemeinsam weiterreisen. Weil Link sich mit dem Regisseur nicht versteht, knistert es ziemlich, und es wird auch nicht besser, als Link sich plötzlich in einer gefährlichen Situation wiederfindet, die fatal an seinen letzten Film erinnert.

 
image10 (91x150)Knock Down: Jonah Dereham ist ein Agent, der Rennpferde für Kunden ersteigert. Damit tritt er einem Agentenkartell auf die Zehen, das den britischen Markt für sich beansprucht. Doch im Kampf gegen diese Mafia findet er auch ungewöhnliche Verbündete.

 

 

 
image4 (91x150)Risk: Buchhalter und Amateurjockey Roland Britten wird entführt, nachdem er gerade ein wichtiges Rennen gewonnen hat. Auf einem Schiff verschleppt man ihn ins Unbekannte. Er kann sich zwar befreien, aber in keinster Weise erklären, warum er das Ziel eines Verbrechens wurde – weswegen er nach hundert Seiten gleich wieder entführt wird. Zwischendrin lernt er noch zwei außergewöhnliche Frauen kennen … Ich verrate damit nichts, und es liest sich sowieso alles spannend genug!
In diesen drei Bänden lernen wir viel über Buchhaltung, übers Filmen, Schauspielern, Diamantenschürfen und natürlich über alles, was mit Pferden zu tun hat.
Deutschsprachige Ausgaben:
Dick Francis: Mit Fesseln ins Finale. Übersetzt von Ursula Goldschmidt. Ullstein, 1973. / Neu übersetzt von Malte Krutzsch unter dem Titel: Gefilmt. Diogenes, 1993.
Dick Francis: Voll Blut. Übersetzt von Ursula Goldschmidt. Ullstein, 1975. / Neu übersetzt von Ruth Keen unter dem Titel: Zuschlag. Diogenes, 1998.
Dick Francis: Ein Gold-Cup zur Entführung. Übersetzt von Ursula Goldschmidt. Ullstein, 1978. Auch unter dem Titel: Risiko. Ullstein, 1988. / Neu übersetzt von Michaela Link unter dem Titel: Risiko. Diogenes, 1999.

image6 (96x150)Elly Griffiths: The Janus Stone. 2010 / The House at Sea’s End. 2011 / A Room Full of Bones. 2012.
Voriges Jahr hatte ich zufällig diese englische Autorin entdeckt und ihren ersten Krimi um die forensische Anthropologin Ruth Galloway gelesen, der mich besonders von der Atmosphäre und der Beschreibung der Landschaft (Norfolk) beeindruckte. Nun ist es mir gelungen, Band 2-4 zu finden, und ich habe die auch gleich verschlungen.
Zu den Büchern: The Janus Stone spielt im Gegensatz zum ersten Band, der überwiegend an der englischen Nordseeküste stattfand, mehr in der Stadt, nämlich Norwich, und teilweise an einer Ausgrabungsstätte von römischen Resten im Landesinneren. Unter der Schwelle eines Abbruchhauses, das vor Jahrzehnten ein Kinderheim gewesen ist, wird ein Kinderskelett entdeckt. Zunächst vermuten Polizei und Archäologen, daß es sich um ein 1973 aus dem Heim verschwundenes kleines Mädchen handelt, doch das Skelett erweist sich als älter. Es war definitiv ein Ritualmord, und der Mörder könnte noch leben. Parallel dazu trifft Ruth einen alten Freund wieder, der sich trotz ihrer mysteriösen Schwangerschaft sehr für sie interessiert, und als DCI Harry Nelson herausfindet, daß er der Vater von Ruths Kind ist, steigt die Spannung. Und dann fühlt Ruth sich plötzlich verfolgt.
image7 (97x150)In The House at Sea’s End sind wir wieder direkt an der Küste von Norfolk, wo unter einer abbröckelnden Klippe mehrere Skelette entdeckt werden – offenbar deutsche Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg. Aber wie kamen sie dahin, und warum sind sie gefesselt? Ruth und Harry fällt es nicht leicht, noch Menschen zu finden, die sich an diese Zeit vor fast siebzig Jahren erinnern können. Ruths Tochter Kate ist inzwischen geboren, und Ruth erlebt mit voller Wucht, wie schwierig es für eine alleinstehende Frau ist, zu arbeiten und Mutter zu sein. Dennoch findet sie unerwartete Hilfe von überraschender Seite.

 
image5 (96x150)Im vierten Band der Serie, A Room Full of Bones, soll ein ausgegrabener antiker Sarg geöffnet werden, was nicht nur der Wissenschaft dienen soll, sondern auch das Museum promoten. Doch kaum ist der Sarg offen, sinken ringsherum Menschen tot zu Boden – Fluch der Mumie? Die Geschichte des Museums selbst ist mit der Geschichte einer ortsansässigen prominenten Familie eng verbunden.
In allen Bänden gelingt es der Autorin auch, wissenschaftliche Erkenntnisse und alte und neue persönliche Schicksale mit Mystik und Esoterik so zu verbinden, daß alle Bereiche gleichermaßen spannend und mit gültiger Daseinsberechtigung erscheinen. Daneben sorgt diese Themenmischung auch für eine gewisse gruselige Atmosphäre, und die gelungene Landschaftsbeschreibung der wenig bekannten Grafschaft Norfolk paßt genau dazu. Ein bißchen erinnern mich die Bücher an die Serie um die moderne Exorzistin Merrily Watkins von Phil Rickman, der diesen Mix ebenfalls hervorragend beherrscht.
Deutschsprachige Ausgaben:
Elly Griffiths: Knochenhaus. Übersetzt von Tanja Handels. Wunderlich, 2012. / Gezeitengrab. Übersetzt von Tanja Handels. Wunderlich, 2013. / Aller Heiligen Fluch. Übersetzt von Tanja Handels. Wunderlich, (angekündigt für März 2014).

Lorenz Pauli: Pippilothek??? Schweizerische Arbeitsgemeinschaft der Allgemeinen Öffentlichen Bibliotheken, 2011.
Dieses Büchlein wurde als Werbematerial für Schweizer Bibliotheken verfaßt, aber es ist inzwischen zu einem Bestseller im Bereich Kinderbuch geworden – kein Wunder! Wie ein hungriger Fuchs lernt, mit Büchern umzugehen, ist so lieb gezeichnet und witzig erzählt, daß jeder buchliebende Mensch das Werk einfach haben muß!

image8 (97x150)Jill Paton Walsh: The Attenbury Emeralds. 2010.
Es ist ja derzeit sehr in Mode, Fortsetzungen zu Klassikern zu schreiben (auch im Film, wo es gnadenlos zu allem Teil 2-14 geben muß). Das gelingt nicht immer – wer erinnert sich denn noch an Scarlett, die Fortsetzung von Vom Winde verweht? Ich glaube, daß es wirklich nicht möglich ist, genau wie die Originale zu schreiben; bestenfalls kann man sich annähern, und vielleicht erreichen manche auch eine eigenständige und lebensfähige Interpretation der Originalfiguren. Jill Paton Walsh startete mit ihren Fortsetzungen der Krimis von Dorothy L. Sayers vor einigen Jahren, als sie auf Bitten von Sayers’ Erben ein nachgelassenes Romanfragment vervollständigte. Das fand ich nicht schlecht gemacht; allerdings gefiel mir der Nachfolgeband, der auf etwas weniger Originalmaterial basierte, nicht so gut. Dennoch hab ich beide gern gelesen, denn was Sayers bzw. Paton Walsh als weiteres Schicksal ihrer Figuren entwarf, hat mich sehr interessiert. (Sayers’ Absichten kennen wir aus ihren Briefen.) Nun kam der dritte Band, der im Grunde gar kein Originalmaterial mehr enthält, sieht man von den Figuren ab.
Zum Buch: Er erzählt die Geschichte von Lord Peters allererstem Fall in sehr jungen Jahren, der sich um den wertvollen Schmuck einer befreundeten Adelsfamilie drehte. Mitten im Zweiten Weltkrieg muß Lord Peter dank neuer Informationen den Fall noch einmal ganz von vorn aufrollen. Dabei wird er natürlich tatkräftig unterstützt von seiner Frau Harriet und dem treuen (und beängstigend perfekten) Butler Bunter. Und es gibt ein überraschendes und aufwühlendes Ende.
Jill Paton Walsh ist zweifellos eine gute Schriftstellerin, und sicher gibt sie sich auch alle erdenkliche Mühe, die ihr übertragene Rolle als Sayers-Nachfolgerin auszufüllen. Doch auch sie kann nicht dagegen an, daß sie streng genommen nun historische Romane schreiben muß, und da haben wir dann gleich alle Probleme von historischen Romanen! Es gibt einfach einen unüberwindbaren Unterschied zwischen einem Roman über, sagen wir mal, den Zweiten Weltkrieg, der während oder kurz danach geschrieben wurde, und einem Roman, der jetzt, also lange nach besagtem Ereignis verfaßt wird. Weil zeitgenössische AutorInnen vieles als selbstverständlich und bekannt erachten, das uns heute ungewohnt, unbekannt oder rätselhaft vorkommt und irgendwie erklärt werden muß, tappen heutige AutorInnen eben ganz oft die Falle des Übererklärens. (Ich kann’s ja so gut verstehen – Recherche ist einfach faszinierend! Aber meist nur für diejenigen, die sie aktuell unternehmen.) Das kann Paton Walsh hier zwar weitgehend vermeiden, ganz aber eben nicht. Und ich glaube auch, daß ihr der typische respektlose und scharfzüngige Sayers-Humor nicht recht liegt – weswegen sie ihn klugerweise auch gar nicht erst nachzuahmen versucht. Aber er fehlt mir doch sehr …
Dennoch werde ich ganz bestimmt auch den nächsten Band lesen, in dem Peter und Harriet nach Oxford zurückkehren! (Erscheint demnächst in Großbritannien.)

Aktuell:
Wieder mehr gemischt und sogar auch Aktuelles.

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August 2013

31. August 2013

Verehrte Leserinnen und Leser,
Reiselektüre kann ja ganz unterschiedlich sein, und man muß mit ihr nicht unbedingt gleich den Lesesessel verlassen …

image0 (92x150)Karl May: Unter Geiern. 1887 und 1888 / Verlag der Union Deutsche Verlagsgesellschaft, 1890.
Wie sehr viele meiner Generation hab ich als Kind Karl May verschlungen, aber bei weitem nicht alles gelesen. In unserer Stadtbücherei hatten sie natürlich diese grüne Ausgabe (ich weiß, die Sachen sind oft gekürzt), und daher ist die auch diejenige, die quasi in meiner Erinnerung lebt. Nun hab ich seit vielen Jahren keinen May mehr gelesen; zwar hatte ich voriges Jahr im Selbstversuch mal eine heruntergeladene Version auf dem E-Reader angefangen, aber umständehalber wieder abgebrochen (wobei der Selbstversuch aber durchaus gelungen ist, aber davon irgendwann mal mehr). Unter Geiern enthält zwei längere und miteinander verbundene „Jugend“-Erzählungen und war in meiner Kindheit mein absolutes Lieblingsbuch. Noch immer deutlich vor Augen hatte ich die Beschreibung des Yellowstone-Gebiets (alles frei erfunden, aber sehr plakativ!) und die Ereignisse im Llano Estacado …
Als ich jetzt im Karl-May-Museum in Radebeul war (empfehlenswert!), hab ich also zum Andenken eben diesen Band in eben dieser Ausgabe gekauft, die natürlich inzwischen in einer höheren Auflage und in neuer Rechtschreibung vorliegt. (Letzteres wäre für mich okay, sofern sie bei der Gelegenheit auch die echten Rechtschreibfehler mal entfernt hätten.) Und was soll ich sagen? Ich hab das Buch zügigst verschlungen, ganz so wie als Kind. Klar weiß ich, was und wie Karl May geschrieben hat, aber hey – welcher Autor schafft es denn nach mehr als hundert Jahren, immer noch Lesende zu begeistern und in seinen Bann bzw. den seiner Erzählung zu ziehen? Das muß man erst mal können. Und mir ist es auch total schnuppe, ob eine Geschichte wahr oder erfunden ist. Die Hauptsache ist doch, daß sie in sich funktioniert, und das tun Mays Erzählungen (jedenfalls diese) trotz aller möglichen Ungereimtheiten und Unwahrscheinlichkeiten immer noch.
Zum Buch: Aus Rache entführen Sioux den Bärenjäger und wollen ihn im Yellowstone-Gebiet opfern. Mehrere „Westmänner“, denen sich unterwegs auch Winnetou, Old Shatterhand und einige Indianer anschließen, helfen dem Sohn des Bärenjägers bei der Befreiung. Fast dieselbe Gruppe trifft sich später im Llano Estacado, um dort der gefährlichen Räuberbande der „Geier“ das Handwerk zu legen, wobei sie von dem mysteriösen „Geist“ unterstützt werden.
Angesichts meiner Begeisterung nahm auch ein Freund noch mal einen Anlauf in Richtung May, den er in seiner Jugend nicht gelesen hat. In flottem Tempo durchmaß er nun den Schatz im Silbersee und hat sich ebenfalls gut dabei unterhalten. Wer May noch gar nicht kennt, sollte mit diesem Buch mal testen, ob die Lektüre zusagt.

Jakob Hein: Vor mir den Tag und hinter mir die Nacht. Piper, 2008.
Dieses Buch lieh mir eine Freundin, nachdem sie von meinen Plänen für einen Leseroman hörte. Es geht darin nur am Rande ums Lesen und Schreiben – hauptsächlich geht es um das Lieben. Sämtliche Figuren sind ein bißchen verschroben und versponnen, selbst wenn sie noch so schlicht und unscheinbar daherkommen.
Zum Buch: Es handelt sich um einen Schachtelroman: Eine Handlung fängt an, dann erzählt eine der darin vorkommenden Figuren ihre eigene Handlung weiter, in der nach einer Weile eine der darin vorkommenden Figuren ihre Geschichte erzählt … Insgesamt waren es, glaube ich, acht, aber es wird schon ganz ordentlich zu Ende geführt, man kommt nicht durcheinander, das Buch ist keineswegs dick und geht auch gut aus. Ach ja: Die erste (und letzte) Handlung dreht sich um den Inhaber einer „Agentur für verworfene Ideen“ und seine erste Kundin, die aber eigentlich gar nichts von ihm kaufen will …

image1 (94x150)Katherine V. Forrest: Sleeping Bones. 1999.
Die Autorin gehört zu den ersten, die eine Krimiserie mit einer lesbischen Heldin geschaffen hat und damit (in den USA ab 1983) ganz erfolgreich war. Kate Delafield ist Polizistin in Los Angeles, und neben den üblichen Fällen, die sie zu bearbeiten hat, läuft mit, wie sie – vom Standpunkt einer lesbischen Frau – mit ihren KollegInnen klarkommt. Kate trägt ihre sexuelle Präferenz nicht missionierend vor sich her, sondern will ganz normal als Berufstätige leben und nach ihrer Leistung, Intelligenz etc. beurteilt werden. Doch in den 1980ern waren die Verhältnisse auch in Kalifornien noch nicht so ganz entspannt (wenn sie es überhaupt heute sind), und so ist Kate auch vorsichtig, wem sie von ihrem Privatleben erzählt und wem nicht. In den deutschen Sprachraum kam die Serie im Zuge der Frauenkrimiwelle ab den frühen 1990ern und gehört im Argument-Verlag (Ariadne) zu den Longsellern. Der jüngste Band erschien im Original 2004, in Übersetzung 2005.
Zum Buch: Ich hab nicht alle Bände gelesen. Daß ich nun jetzt ausgerechnet zu diesem griff, lag daran, daß mir der Anfang (den ich als Teaser mal irgendwo gelesen hatte) plötzlich wieder einfiel: Bei den Asphaltgruben von La Brea – jetzt mitten im Stadtgebiet gelegen – wird eine sehr moderne Leiche gefunden. Es war das Bild dieser Asphaltgruben (die überwiegend Dinoknochen enthalten), das mir aktuell nicht mehr aus dem Kopf ging. Ein bißchen enttäuscht war ich dann schon, daß es weniger um diese Gruben und um Dinos, sondern eher um einen (wahren) historischen Archäologieskandal ging, der sich im Zweiten Weltkrieg rund um chinesische Knochenfunde des Pekingmenschen drehte. Der Fall ist bis heute nicht aufgeklärt, doch Forrest wagt einen Versuch, der durchaus glaubhaft wirkt. Auch wenn keine Dinos drin waren, so ist der Roman eine handwerklich sauber gemachte und spannende Lektüre.
Deutschsprachige Ausgabe:
Katherine V. Forrest: Knochenjob. Übersetzt von Britta Dutke. Argument, 2000.

image2 (92x150)Dick Francis. High Stakes. 1975. / Odds Against. 1965.
Ach, was soll ich sagen … Manchmal muß es eben wieder der weiße Ritter von Dick Francis sein! ;-) Also nur ganz kurz zum Inhalt:
Zu den Büchern: In High Stakes entdeckt ein Pferdebesitzer, daß sein Freund und Trainer ihn über längere Zeit um sehr viel Geld betrogen hat. Als er seine Pferde zu einem anderen Trainer gibt, wird der Freund rabiat. Der Held (der übrigens Erfinder ist und damit viel Geld verdient) sucht das ganze Buch über nach einem Beweis für den Verrat und lernt dabei auch eine interessante junge Frau kennen.
Odds (93x150)Odds Against ist der erste Roman mit dem Ex-Jockey Sid Halley, der auch in einigen weiteren Büchern von Francis auftaucht. Nach einem Reitunfall, der ihm die linke Hand zerschmettert hat, arbeitet Halley als Berater für eine Detektei, die sich viel mit Fällen rund ums Pferd befaßt. Anfangs eher lustlos, findet Halley einen Betrugsfall so fesselnd, daß er sich leidenschaftlich engagiert. Gehandicapt nicht nur durch die verletzte Hand, sondern auch durch einen Bauchschuß, ermittelt er sich durch das Buch, lernt unter anderem was über Mineralien und Versicherungen und gewinnt seine Lebensfreude wieder.
Deutschsprachige Ausgaben:
Dick Francis: Roßtausch. Übersetzt von Ursula Goldschmidt. Ullstein, 1966. / Neu übersetzt von Malte Krutzsch unter dem Titel: Versteck bei Diogenes, 1998. (Verwirrenderweise steht in dem Buch: Nachdruck von 1976.)
Dick Francis: Die Chancen stehen schlecht. Übersetzt von Tony Westermayr. Goldmann, 1966. / Unter dem Titel: Nervensache bei Diogenes, 1993.

Aktuell:
Ein laaaaaanges Buch, eine Handvoll Krimis und was ganz anderes!

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