Oktober 2013

31. Oktober 2013

Verehrte Leserinnen und Leser,
kurz vor der Frankfurter Buchmesse glaube auch ich oft, daß ich doch mal mehr Aktuelles lesen sollte – und das fiel mir in diesem Jahr nicht schwer, allerdings nicht unbedingt das, was allerorts annonciert wird. Nach der Buchmesse ist es noch schlimmer, weil ich ja aus diesen Tagen doch nicht ohne Bücher herauskomme … Doch bis ich sie dann auch lesen kann, sind sie oft nicht mehr „aktuell“. Mir macht das gar nichts, wenn sie gut sind!

image11 (104x150)Luise Berg-Ehlers: Mit Miss Marple aufs Land. Sandmann, 2013.
Das ist ein wahrer Schatz! Luise Berg-Ehlers, eine mittlerweile pensionierte Studienrätin aus Bochum, ist eine große und begeisterte Kennerin englischer Lebensart (und von Theodor Fontane, aber von diesen Büchern hab ich noch keins gelesen), die sie gern und gekonnt anhand von Krimis vermittelt.
Zum Buch: In diesem Buch faßt sie die Eigenheiten des englischen Landlebens zusammen: Pubs und Tearooms, Kirchen, Sport und Feste, Cottages und Castles, garniert es mit Exkusionen nach Bath, Oxford, Cambridge und London sowie in das fiktive Kingsmarkham (von Ruth Rendell) und rundet alles ab mit Informationen und Romanauszügen früherer und heutiger Queens of Crime, als da wären: Agatha Christie, Daphne du Maurier, Elizabeth George, Caroline Graham (Barnaby!), Ann Granger, P. D. James, Ngaio Marsh, Val McDermid, Ruth Rendell, Dorothy L. Sayers, Veronica Stallwood, Minette Walters und Patricia Wentworth.
Das alles ist sicherlich nicht neu, aber hier ist es so liebevoll und anschaulich präsentiert und genau so, wie es deutschsprachige England-Fans sich wünschen würden, auch in der optischen Gestaltung mit vielen Fotos und treffenden Aquarell-Vignetten (von Eva-Maria Salm), dazu natürlich Lesetips zu den Krimis und Sekundärliteratur. Selbst langjährige Sammlerinnen wie ich können in dem Buch noch etwas Neues finden, aber am allerbesten ist es für Einsteigerinnen geeignet, die vielleicht schon das eine Buch oder die anderen Autorin kennen, aber nun – da sie Blut geleckt haben, das nach Earl Grey schmeckt – begierig sind auf mehr, viel mehr.

Martha Grimes: The Man With a Load of Mischief. 1981.
Sofort packte mich dann die Lust, eine Martha Grimes zu lesen, die ja ebenfalls in ihren Inspektor-Jury-Krimis sämtliche Vorstellungen, die Ausländer über England haben, zu einem romantischen Bild voll positiver Vorurteile verwebt.
Zum Buch: Dies ist der erste der Reihe, der auch und gerade in Deutschland sofort sehr erfolgreich war und der bereits alle Versatzstücke enthält, die Grimes in ihren späteren Jury-Romanen teils bis zum letzten Bodensatz auslotet: der melancholische Scotland-Yard-Inspektor mit seinem skurrilen Sergeant Wiggins, dem inkompetenten Chef Racer und dessen unglücklich verliebter und aus der Zeit gefallenen Sekretärin Fiona Clingmore (aus der Reihe „sprechende Namen“ …), nicht zu vergessen Jurys Nachbarin Mrs. Wasserman, eine Überlebende. Dann der Ort des ersten Falls, das fiktive Dorf Long Piddleton irgendwo in Mittelsüdengland (angeblich Northamptonshire) mit all den noch skurrileren Bewohnern, die aber zunächst alle Verdächtige sind, bevor sie in den späteren Büchern zum festen Romanpersonal gehören: allen voran Jurys späterer Freund und Amateurermittler Melrose Plant, ein gutausehender und intelligenter Ex-Adliger; seine zwanghafte Tante Agatha, die für comic relief sorgt; Vivian Rivington, ebenfalls ständig unglücklich verliebt; der bisexuelle, aber sehr tuntig auftretende Antiquitätenhändler Marshall Trueblood; und viele weitere Dorfbewohner, darunter auch zwei Kinder, die cleverer sind, als es erst scheint (Grimes hat immer mindestens ein Kind, das sehr ungewöhnlich auftritt). Als „handelnde Figuren“ könnte man auch die Pubs bezeichnen, nach denen die Jury-Romane benannt sind, oft real existierende Lokale, auf jeden Fall echte Namen.
Leider verliert sich Grimes’ Parodie auf den englischen Landhauskrimi in den späteren Romanen, aber wahrscheinlich wäre es ohnehin unmöglich gewesen, das so lange aufrechtzuerhalten. In diesem ersten Band ist die Parodie jedenfalls noch sehr deutlich spürbar, und ich hab sie gern wieder genossen.
Deutschsprachige Ausgabe:
Martha Grimes: Inspektor Jury schläft außer Haus. Übersetzt von Uta Goridis. Rowohlt, 1987 (überarbeitete Übersetzung 1994).

image12 (99x150)Robin Sloan: Mr. Penumbra’s 24-Hour Bookstore. 2012.
Zum Buch: Auf dieses Buch war ich sehr scharf: Eine wilde Jagd nach einem geheimnisvollen Buch in einem noch geheimnisvolleren Code, ausgehend von einem winzigen Buchladen in San Francisco, der voller Merkwürdigkeiten steckt, wie etwa dem Besitzer, Mr. Penumbra. Kein Geheimnis ist, daß er einer Geheimgesellschaft angehört, die mittels Bücherlesen einem Geheimnis auf der Spur sind, und das schon seit vielen hundert Jahren …
Es war etwas schwierig, an die Originalausgabe zu kommen, aber ich wollte unbedingt die mit dem Schutzumschlag, dessen Motive im Dunkeln leuchten. Leider gestaltete sich auch das Lesen etwas schwierig.
Der Erzähler, ein junger und arbeitsloser Webdesigner, bekommt einen Job in eben dieser Buchhandlung mit ihren seltsamen Kunden und dem seltsamen Buchbestand. Er lernt eine junge Frau kennen, in die er sich auch gleich verliebt, vor allem weil sie eine unglaublich hippe Programmiererin bei Google ist. Es folgen ziemlich viele Kapitel, die im Grunde ein einziges Loblied auf diese Firma sind. Da in meinem aktuellen Leben gerade das Thema Urheberrecht eine ziemlich große Rolle spielte (zum Beispiel war das auch ein Thema bei der Bundestagswahl, wenn auch nicht so großes; und Google hat ja auch eine Reihe von entsprechenden Prozessen am Bein), hab ich nicht mit sonderlich großer Freude davon gelesen, wie hemmungslos Bücher eingescannt werden, ohne die AutorInnen zu fragen (geschweige denn zu bezahlen), und wie überhaupt diese Firma unser aller Leben in seiner Gesamtheit umformen will und vor allem bestimmen … Zum Glück für dieses Buch wendet sich das Blatt radikal, aber davon will ich nun nicht mehr verraten.
Ich bin zwar immer noch nicht sicher, wie kritisch oder unkritisch der Autor der Sache gegenübersteht (ich hätte mir da ein bißchen mehr Tiefe im Text gewünscht), aber wenn man ein nettes Abenteuer mit Büchern lesen möchte, kann man dieses nehmen. Besonders schätze ich die Idee, einen legendären Schriftgestalter auftreten zu lassen, und wie der in die Story eingewoben ist, so daß Fakt und Fiktion nicht auseinanderzuhalten sind, ist schon gut gemacht.
Deutschpsrachige Ausgabe:
Robin Sloan: Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra. Übersetzt von Ruth Keen. Blessing, (angekündigt für März 2014).

image13 (90x150)Dick Francis: Flying Finish. 1966.
Zum Buch: Henry Grey langweilt sich in seinem Bürojob im Lufttransport von Rennpferden und beschließt eines Tages, statt dessen selbst mitzufliegen und sich um die Tiere zu kümmern. Man muß natürlich dazu wissen, daß er nicht nur Amateurjockey ist, sondern auch heimlich einen Pilotenschein gemacht hat, was er vor seiner Familie verbirgt. Er wäre kein Francis-Held, wenn er nicht flugs auch in einen Kriminalfall hineingeraten würde: Mitarbeiter der Frachtfirma verschwinden spurlos. Mithilfe einer hübschen Italienerin forscht Henry nach den Verschwundenen und erlebt plötzlich, wie der Kalte Krieg tatsächlich geführt wird.
Bißchen unglaubwürdig in einigen Passagen, da hat Francis meiner Ansicht nach doch zu dick (hehe) aufgetragen. Aber natürlich völlig okay als Zuglektüre oder so!
Deutschsprachige Ausgabe:
Dick Francis: Mord inbegriffen. Übersetzt von Tony Westermayr. Goldmann, 1967. / Unter dem Titel: Blindflug bei Diogenes, 1993.

image14 (88x150)Lynn Flewelling: Shadows Return. 2008.
Es war Zeit, mal wieder das Genre zu wechseln, und erfreut stellte ich fest, daß ich dieses Buch zwar schon eine Weile hatte, aber noch nicht gelesen.
Zum Buch: Es ist der vierte Band der Nightrunner-Serie mit den Helden Alex und Seregil. Zu Serienbeginn trifft der unbedarfte Alex auf den etwas zwielichtigen Seregil vom Volk der Faie (so ähnlich wie Elben), und die beiden arbeiten dann gemeinsam als Diebe und Spione, aber natürlich nur mit den allerbesten Absichten. Sie verlieben sich auch ineinander, das war – und ist – sehr schön erzählt; aber diese Verbindung entwickelt sich nicht ohne Holpern, woran allerdings eher die allgemeinen politischen Ereignisse in ihrer Welt schuld sind als persönliche Disposition. Im dritten Band stellt sich heraus, daß Alex ebenfalls zu den Faie gehört, zumindest mütterlicherseits, und eben diese Abstammung verschafft ihm im vorliegenden Band echte Schwierigkeiten. Er wird nämlich von einem feindlichen Schwarzmagier gekidnappt und für ein geheimnisvollen Experiment mißbraucht. Auch Seregil wird gekidnappt und muß entdecken, daß hinter dem Plan ein alter Bekannter von ihm steckt.
Die Sache mit dem Experiment zieht sich hin, auch der Konflikt zwischen Seregil und seinem alten Feind; allerdings muß ich rückblickend sagen, daß all dieser Text durchaus seinen Sinn hat, sowohl was die Handlung als auch was die Erzählstruktur betrifft, durch die ich mit den beiden Helden intensiv mitgelitten und -gekämpft habe. Doch, schon gut gemacht und auch spannend zu lesen. Die Autorin hat auch eine andere Serie in ihrer Fantasywelt geschrieben, die ich mit großem Interesse verfolgt habe, und ihre Website finde ich auch einnehmend gestaltet.

image15 (96x150)Robert Galbraith: The Cuckoo’s Calling. 2013.
Ja, nun wissen wir, daß hinter diesem „Autor“ die Rowling steckt, und ich gebe zu, daß ich das Buch nur deswegen gekauft habe. (Ich sammle ja eigentlich keine Krimis von Männern.) Voller Neugier, wie sich Rowling in diesem Genre tut, begann ich also zu lesen.
Zum Buch: Ein berühmtes Model stürzt aus dem Fenster ihrer Wohnung – Selbstmord, sagt die Polizei. Doch ihr Bruder will das nicht so stehenlassen und engagiert einen Privatdetektiv, der diesen schier aussichtslosen Fall neu aufrollen soll.
Ich sag’s gleich: Von mir aus könnte der Prolog komplett wegfallen. Die nötige Info daraus hätten wir ja irgendwann in den ersten Kapiteln bekommen können. (Ich kann Prologe nicht leiden. 95 Prozent sind bestimmt überflüssig.) Ich möchte nämlich gern von spannenden Figuren in die Handlung hineingezogen werden, und im Prolog konnte ich leider keine ausmachen, die mir sympathisch genug erschien. Und so spektakulär ist das Verbrechen ja auch nicht. Sobald jedoch die junge Robin auftaucht, nahm sie mich gleich für sich ein, und ich mochte sehr, wie sie im ganzen Buch mal romantisch, mal pragmatisch aufgetreten ist. Der Hammer ist natürlich der Privatdetektiv Cormoran Strike (und ich hoffe, es gibt mindestens eine Fortsetzung, und ich will, daß er weiterhin in seinem Büro wohnt!), bei dem es Rowling scheinbar mühelos gelingt, ein ruppiges Bündel voller widerstreitender Emotionen als kompetenten Fachmann auftreten zu lassen, dessen Arbeit wir mit zunehmender Spannung und Anteilnahme mitverfolgen. Am coolsten finde ich eigentlich, daß Rowling einen ganz klassischen Privatdetektivroman geschrieben hat, ein Subgenre, das im Moment nicht sehr in Mode ist, und sie jongliert souverän mit den handelsüblichen Versatzstücken und gewinnt ihnen ganz neue Aspekte ab, so daß das Buch in unserer heutigen Zeit prima funktioniert. Ich war auch ungemein erleichtert, daß Rowling sich nicht dem Irrer-Serienkiller-wird-von-Forensiker-gejagt-Subgenre zugewandt hat (wobei der Forensiker wahlweise ein neurotischer alter Mann oder eine hübsche junge Frau ist, deren Mutter ermordet wurde; in beiden Variationen gern von einem Team unterstützt … ach, lassen wir das!), sondern sich mit einer überschaubaren Leichenzahl (ohne langatmige Obduktionen) und logischen Zusammenhängen zwischen ihnen begnügt sowie eben diesem klassischen Privatdetektiv. Kurzum, ich hoffe auf einen zweiten (dritten, vierten …) Band!
Deutschsprachige Ausgabe:
Robert Galbraith: Der Ruf des Kuckucks. Übersetzt von Wulf Bergner, Christoph Göhler und Kristof Kurz. Blanvalet, 2013.

26 (99x150)Gladys Williams: Semolina Silkpaws. 1962.
Dies ist ein Lieblingsbuch aus meiner Kindheit, ja, in meiner ganzen Familie ist Frau Semolina Seidenpfote eine immer noch überaus geschätzte Buchkatze! Geschrieben wahrscheinlich in den 1950ern – im Buch gibt es hin und wieder Telefon und Fernsehen -, atmen diese drei in einem Band zusammengefaßten Bücher jedoch stark viktorianische Atmosphäre.
Zum Buch: Die alleinerziehende (hab vergessen warum – verwitwet?) Semolina zieht mit ihren vier Kindern in die Kleinstadt Katzenham (ach ja! genial übersetzt von meinem geliebten James Krüss!), wo sie trotz ihrer wirtschaftlich prekären Lage schnell zu einer bekannten und geachteten Persönlichkeit aufsteigt. Dies schafft sie durch ihre Resolutheit und ihr originelles Vorgehen, sei es im Abenteuer mit der zugeschlagenen Haustür oder der abgetriebenen Luftmatratze, im Umgang mit dem Räuberkater oder dem gewonnenen Auto.
Man mag heute ihre Erziehungsmethoden etwas kritisch sehen (die Kinder sind ein wenig sehr brav und genderrollen-orientiert), aber jetzt beim Wiederlesen kam ich nicht umhin, Semolina als sehr emanzipiert in ihrer Zeit zu bewundern. Und überhaupt ist sie auch fürchterlich englisch! Über die Autorin ist so gut wie nichts herauszukriegen, auch ist es mir noch nicht gelungen, eine englische Semolina aufzutreiben – aber es ist ja auch die deutschsprachige, die meine Kindheit derart intensiv begleitet hat, daß meine Familie auch heute noch aus den Büchern zitiert.
Deutschsprachige Ausgabe:
Gladys Williams: Semolina Seidenpfote. Übersetzt von James Krüss. Betz, 1965.

Aktuell:
In mehrerlei Hinsicht Historisches.

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