Juni 2012

30. Juni 2012

Werte Lesende!

In diesem Monat standen Großbritannien und die USA offenbar ganz besonders im Mittelpunkt meiner Aufmerksamkeit – aber lest selbst!

 

Bill Bryson: I’m a Stranger Here Myself (auch: Notes from a Big Country). 1999.
Wayne Grady / Merilyn Simonds: Breakfast at the Exit Cafe. 2010.

Diese beiden Bücher habe ich quasi parallel gelesen, und das ist wirklich spannend gewesen.

Zu den Büchern: Der US-Amerikaner Bryson beschreibt in seinen (gesammelten) Kolumnen, wie er nach zwanzig Jahren England mit seiner englischen Familie in die USA zurückkehrt und was ihm da jetzt so auffällt. Er lebt in einem idyllischen Örtchen in Maine, kommt aber natürlich reichlich rum. Das ist voll des trockenen und/oder slapstickhaften Humors Brysonscher Prägung, aber auch oft nachdenkenswert.
Kontrast/Ergänzung bilden das kanadische Paar Grady und Simonds mit ihrer US-Reise und ihren Beobachtungen, wie sie sich im großen Nachbar fühlen. Ihnen fällt vieles von dem auf, was auch Bryson anmerkt, selbst wenn sie grundsätzlich etwas philosophischer und weniger auf die Pointe hin an die Sache herangehen. (Es gibt noch keine deutschsprachige Übersetzung.)

Und noch reizvoller dazu ist ein weiteres Buch, das ich aber gerade erst angelesen habe (ich kenne es jedoch von GANZ früher): Der Stern von Kalifornien (1976) von Hans-Otto Meißner, ein Deutscher, der in seinem Buch eine einzige Hymne auf die USA und Kalifornien singt … aber die Zeit, die Zeit.

Ich gucke ja auch gern auf Karten oder in Reiseführern, wo die Leut unterwegs sind, und das Internet bietet heutzutage noch ganz andere Möglichkeiten. So habe ich die Hotels angesehen, in denen Grady/Simonds nächtigen (sofern sie den Namen nennen), und es gibt Fotos von Straßen und Bauwerken und Gegend. Sehr anrührend auch, daß sie in Seattle in demselben Buchladen stehen wie ich 1996 und dasselbe sehen. Und im Covered Market war ich auch, ich hab auch den eingegrabenen VW-Käfer gesehen. Aber Europäer sehen in den USA eigentlich andere Dinge, auch andere als “Exil”-US-Bürger oder Kanadier.

Deutschsprachige Ausgabe:
Bill Bryson: Streiflichter aus Amerika. Übersetzt von Sigrid Ruschmeier. Goldmann, 2000.

 

Mary Stewart: The Stormy Petrel. 1991.

Wenn die Welt schlecht oder verregnet oder dunkel ist und man sich beim Griff zum Krimi davor fürchten muß, knietief in Gedärmen zu waten, und alles andere entweder zu kompliziert oder zu sonstwas ist, dann ist die Zeit gekommen, ein Buch von Mary Stewart wiederzulesen. Dieses kannte ich übrigens noch gar nicht, obwohl es schon länger auf meinen Regalen rumsteht. Die Stewart, das sagte ich neulich schon mal, schrieb romantic thriller mit einem für die 1960/70er sehr modernen bzw. geradezu feministischen Touch. Und trotzdem: es bleiben romantic thriller. Was sie sonst noch sehr gut kann, ist spannend schreiben und sehr schön die Landschaft mit Worten abbilden.

Zum Buch: Hier folgt sie einer Schriftstellerin auf eine (fiktive!) Insel der Inneren Hebriden. Der junge Frau schneien schon in der Nacht zwei sehr verschiedene Männer ins Cottage, und auch wenn diesmal bald klar ist, welchen sie nehmen wird, gibt es durchaus genug Spannung. Bei aller Liebe zu Stewart und sehr schönen Passagen in diesem Buch möchte ich es doch zu einem ihrer schwächeren rechnen. Zeitverschwendung ist es allerdings nicht!

Deutschsprachige Ausgabe:
Mary Stewart: Wie ein Vogel im Sturm. Übersetzt von Fred Schmitz. Heyne, 1996. (Auch als Buchclubausgabe unter dem Titel Geheimnisvolle Gäste.)

 

Patricia Wentworth: Lonesome Road. 1939.

Das ist der dritte Miss-Silver-Roman von insgesamt 31, die sich eigentlich qualitativ kaum unterscheiden. Daß die Zeit zwischen den Bänden überhaupt vergeht, merkt man höchstens daran, ob noch Lebensmittelcoupons verwendet werden oder für wessen Babies/Kinder Miss Silver diesmal strickt. Typisch für die Miss-Silver-Krimis (von den anderen Wentworth-Krimis habe ich noch keinen gelesen, die sind schwer zu finden) ist auch, daß es meist eine romantische Nebenhandlung gibt, aber insgesamt sind die Bücher doch eher Krimi als romantic thriller, und sie sind fürchterlich englisch. Miss Silver sieht man eher selten ermitteln, sie macht das im Hintergrund, und wir erfahren auch höchstens ihre Handlungen, nicht aber ihre Überlegungen.

Zum Buch: Rachel Treherne verwaltet das riesige Erbe ihres Vaters. Da sie von ihren Verwandten darum beneidet wird, ist es auch kaum verwunderlich, daß Mordanschläge auf sie verübt werden, und sie zieht Miss Silver als diskrete Ermittlerin hinzu. Was die Familie – die sich bei Rachel unangenehm oft und lange als Hausgast einnistet und sich dabei ziemlich ungastlich aufführt – nicht weiß, ist, daß der Vater Rachel aufgetragen hat, den Sohn seines ehemaligen amerikanischen Kompagnons ausfindig zu machen und zu entschädigen. Der Showdown findet mit einem wirklich perfiden Anschlag in einem uralten Bauernhaus statt.

Deutschsprachige Ausgabe:
Patricia Wentworth: Der Stoß von der Klippe. Übersetzt von Elfi Hartenstein. Goldmann, 2002.

 

Jen Banbury: Like a Hole in the Head. 1998.

Nach diesem Buch habe ich ziemlich lange gefahndet, weil ich gelesen hatte, daß es darin um alte Bücher, Büchersammler und eine recht durchgeknallte Heldin gehen sollte. Nun habe ich sogar eine Erstausgabe ergattert!

Zum Buch: Ähnliches passiert Jill, die in einem Antiquariat in Los Angeles für den meist abwesenden Besitzer den Schreibtischstuhl warm hält, die Katze füttert und hin und wieder tatsächlich ein Buch verkauft. Ansonsten lebt sie eher in den Tag hinein. Eines Tages wird ihr für ein paar lumpige Dollar The Cruise of the Snark von Jack London angeboten, in einer für einen Freund signierten Erstausgabe. Und sogleich verkauft sie es unter der Hand weiter an einen anderen Antiquar. Daß das ein Fehler war, macht ihr wenig später ein unsympathisch wirkender Schlägertyp klar – es war alles ein Mißverständnis, sein Boß will das Buch zurück, aber pronto, sonst -! Unnötig zu erwähnen, daß Jill das Buch trotz hohen Körpereinsatzes erst mal nicht zurückbekommt, auch ein Motorradtrip nach Las Vegas bringt sie nur wenig voran. Dafür erleidet sie eine Reihe von Blessuren, teilt auch ordentlich aus, lernt eine Menge netter und nicht netter Menschen kennen, kriegt das Buch und verliert es wieder, landet beim Film … kurzum, eher eine Art Hard-boiled-Roadmovie mit Slapstickeinlagen.

Und während das Buch (nicht nur im Roman) echt ist, ist seine Besonderheit (im Roman), die es für Sammler unwiderstehlich macht, erfunden: Ein Buchbinder namens Grautzweller hat in jeder Auflage der von ihm gebundenen Bücher einige Seiten so vertauscht, daß die ersten Buchstaben darauf eine kodierte Nachricht in Gedichtform bilden. Leider gibt der Roman kein konkretes Beispiel dafür!

Deutschsprachige Ausgabe:
Jan Banbury: Von einer, die auszog. Übersetzt von Kim Schwaner. Rowohlt, 2001.

 

Dick Francis: Come to Grief. 1995. / To the Hilt. 1996.

Ich habe vergessen, wer es gesagt hat, aber es war jemand Berühmtes: Nämlich daß sie (oder er?) sich jedes Jahr auf den neuesten Dick Francis freut und gespannt ist, wie er diesmal das Thema Pferd eingebaut hat.

Zu den Büchern: In Come to Grief hat der Ex-Jockey und Jetzt-Privatdetektiv Sid Halley (der nur einen Arm hat dank eines fiesen Reitunfalls) den unangenehmen Job, einen seiner besten Freunde vor Gericht zu bringen. Der Freund hat Dinge getan, die eine Freundschaft nicht mehr aushalten kann. Ich gehe nicht weiter in die Details; es ist ein für Francis sehr finsteres Buch, und dabei ist er ja auch sonst nicht zimperlich mit dem, was er seine Helden durchleben und -leiden läßt. Ein Teil der Story ist geschickt als Rückblick erzählt, das fand ich schreibtechnisch interessant, aber dann wurde es total spannend, und ich hab das Buch fix in einem Tag runtergehechelt.
Am nächsten Tag griff ich zum nächsten Francis, zufällig auch der als nächster erschienene (obwohl das bei Francis ja unwichtig ist): In To the Hilt erzählt ein Maler, wie er gegen seinen Willen die Firma seines Stiefvaters retten muß. Der Maler lebt eigentlich in der schottischen Wildnis, fernab von Zivilisation und Familie, und malt (in Acryl) Szenen aus dem Golfspiel. In London und Lambourne trifft er mit seiner Mutter und der übrigen Familie, seiner (Fast-Ex-)Frau, einigen aufrechten Menschen (Steuerprüfer, Banker), einem extrem unkonventionellen Privatermittler und natürlich auch mit Pferden und Fieslingen zusammen. Es geht ein bißchen ums Malen, ums Bierbrauen, aber vor allem ums Geldveruntreuen, und auch dieses Buch hatte ich nach einem Tag durch. (Doch, ich hab jeweils auch noch was anderes getan.)

Deutschsprachige Ausgaben:
Dick Francis: Favorit. 1997. / Verrechnet. 1998. Beide übersetzt von Malte Krutzsch und erschienen bei Diogenes.

 

Deborah Crombie: Dreaming of the Bones. 1997.

Auch auf dieses Buch war ich scharf wegen des literarischen Themas, das mich entfernt an Antonia Byatts Possession erinnerte. Aber natürlich wird das in einem richtigen Krimi anders gemacht, und man braucht (finde ich) auch richtig echt Ermordete. Deborah Crombie ist es ganz gut gelungen, das Literarische in eine Krimihandlung zu verwandeln.

Zum Buch: Eine Biographin kommt nach und nach darauf, daß ihre Dichterin, also die, deren Leben sie schreibend nachvollzieht, wahrscheinlich ermordet wurde. Zufällig ist die Biographin die Ex-Frau eines Polizisten, und sie bittet ihn um Rat. Der Tod der Dichterin liegt nur fünf Jahre zurück, es leben auch noch fast alle aus ihrem Umfeld – und dieses Umfeld ist Cambridge, vor allem die Universität und die Kunstszene. Die Spuren führen zurück in die frühen sechziger Jahre, als die Dichterin und ihre Kommilitonen in Cambridge einen Zirkel aufbauen, der an den (skandalträchtigen) Bloomsbury-Kreis um Virginia Woolf erinnert, und diese Verbindung ist von den jungen Leuten auch ganz bewußt so gewollt. (Die Dichterin verehrt besonders Rupert Brooke, von dem ich bis dahin eigentlich nichts wußte, und ich hatte auch noch keine Gedichte von ihm gelesen …)

Es war schon spannend zu lesen, wie sich erst die Biographin und dann ihr Ex-Mann als Polizist an den Spuren entlang hangeln und wie die alten Geschichten, die begraben werden sollten, wieder aufleben. Allerdings hätte ich mir einen anderen Mörder gewünscht und eine andere Gestaltung des Showdowns; ich finde, beides wird der Qualität der ersten vier Fünftel des Buches nicht gerecht. Und ich habe mich auch manchmal ein bißchen in all den Familiengeschichten “verlaufen”, denn zusätzlich zur Dichterin und ihrer Biographin nebst den dazugehörigen Kreisen lernen wir auch noch die Familien des Polizisten und seiner heutigen Gefährtin (und Kollegin) kennen, und da wimmelt es von Ex-Männern, Müttern, Kindern und Figuren, die nur mal kurz auftauchen und deren Funktion irgendwie nicht erklärt wird. Dennoch lohnt sich das Buch. (Es ist der fünfte Band der inzwischen 14bändigen Serie um das Ermittlerpaar Kincaid und James von Scotland Yard.)

Deutschsprachige Ausgabe:
Deborah Crombie: Das verlorene Gedicht. Übersetzt von Christine Frauendorf-Mössel. Goldmann, 1998.

 

Aktuell:
Inzwischen ist der Stapel der halb- und angelesenen Bücher wieder furchteinflößend hoch geworden, und manche liegen nun schon so lange darin, daß ich sie noch einmal von vorn beginnen müßte … Und bei manchen muß ich auch wieder auf die passende Stimmung warten. Wenn es nämlich draußen warm wird, habe ich viel mehr Lust auf leichte Lektüre! Und als Vorbereitung auf die noch anstehenden Reisen einen Reiseführer der ganz besonderne Art.

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