Dezember 2013

31. Dezember 2013

Verehrte Leserinnen und Leser,
holen Sie tief Luft und atmen Sie den Stallgeruch – mit dem ich selbst eigentlich gar nichts zu tun habe, ich bin auch kein Pferdefan …

Dick Francis: Blood Sport. 1967 / Forfeit. 1968 / Enquiry. 1969 / Bonecrack. 1971 / Slay Ride. 1973.
Vergangenen Monat bin ich echt eingeknickt und hab – teils weil oft unterwegs per Zug, teils als Realitätsflucht – fünf, in Worten: FÜNF Dick-Francis-Krimis gelesen! Das sollte man eh nicht tun, aber ich hab daran auch deutlicher gemerkt, daß seine Bücher doch etwas unterschiedlich sind. Das kann liegen an a) nichts wirklich Neues eingefallen und nur geschrieben, weil Verlag/Markt es verlangt, oder b) zu viel gewollt oder c) Thema eignete sich doch nicht, um Pferd darin unterzubringen …
Zu den Büchern:
3610 (89x150)Blood Sport: Gene Hawkins, der irgendwie für die britische Regierung arbeitet und Bewerber begutachtet, die sich für einen Posten als Spion interessieren, wird von seinem Boß quasi ausgeliehen an einen amerikanischen Freund, dem ein Zuchthengst gestohlen wurde. Gene ist zwar ein total kaputter Typ, also mental und so und sehr depressiv (was ich ihm aber nicht immer so recht geglaubt hab), doch er macht sich aus Pflichtbewußtsein auf die Suche nach dem Tier, das schon das zweite oder vielmehr dritte auf diese Art gestohlene Pferd ist. Die Suche führt ihn von London (mit Abstecher themseaufwärts) nach New York und Colorado, nach Kalifornien und schließlich nach Las Vegas. Was Gene auch so ein bißchen am Leben hält, ist die Tochter seines Chefs (etwas arg jung, aber es passiert ja auch nix), die ihm den Glauben an die Menschheit zurückgibt. War spannend und flott zu lesen.

 
Francis_Forfeit (92x150)Forfeit: James Tyrone ist Rennsportreporter in London und ein weiterer von Francis’ edlen Helden, auch wenn er zunächst mal fremdgeht. Wir geübte Leserinnen wissen aber, daß er einen guten Grund dafür hat – und erfahren es auch bald, nämlich daß Tyrones Frau völlig gelähmt ist und er sie zu Hause pflegt. Im Rahmen seiner Recherchen für eine längere Reportage tritt Tyrone einem fiesen Wettbüromagnaten auf die Zehen, und ab da entwickelt sich das übliche Szenario. Trotzdem ist auch dieser Krimi gut und flott zu lesen, dank einiger kleiner Überraschungen in Plot und Charakterisierung der Figuren.

 

 

Francis_Enquiry (93x150)Enquiry: Der Jockey Kelly Hughes wird verdächtigt, beim Rennen betrogen zu haben, und zusammen mit seinem Trainer vorerst total gesperrt. Den Trainer nimmt das viel mehr mit, weil es ihn auch härter trifft, wie seine Tochter berichtet, die Kelly um Hilfe bittet (also sie den Jockey). Kelly fühlt sich zu Unrecht verurteilt, hat auch schon ein paar Unstimmigkeiten entdeckt und will vor allem die Sache nicht auf sich beruhen lassen. Dies wiederum führt dazu, daß er diversen Leuten auf die Zehen tritt … na ja, (fast) das Übliche. Sehr schön, daß der Plot eben doch nicht so vorhersagbar ist!

 

 

3609 (90x150)Bonecrack: Der war noch ganz okay, obwohl ich mit dem Helden sehr lange nicht sonderlich warm geworden bin. Neil Griffons Vater, ein Rennpferdtrainer, liegt im Krankenhaus, und so sieht Neil (obwohl von Beruf Buchhalter) mal ein bißchen nach dem Rechten im Stall – bis er entführt und gezwungen wird, einen bestimmten Menschen als Rennjockey einzustellen. Natürlich sträubt sich Neil (und entdeckt dabei seine Qualifikation als Trainer, was niemand je gedacht hätte und alle anderen ihm auch absprechen, vor allem sein Vater), und natürlich ist dieser Möchtegernjockey ein Arschloch – aber Neil kann die Sache zum Guten wenden, zumal er auch merkt, daß der Jockey durchaus was kann. Doch es gibt Leute, denen das nun wieder überhaupt nicht gefällt. Zweite Hälfte zwar süßlicher, aber besser als erste Hälfte.

 

Francis_Slay (90x150)Slay Ride: Dick Francis ist sicherlich auch mal Rennen in Norwegen geritten, und die beiden Länder verbindet ja seit den normannischen Raubzügen so einiges. Dennoch fürchte ich, daß der Autor sich hier übernommen hat. Im Bestreben, endlich auch mal einen Krimi dort spielen zu lassen (vielleicht hat’s ihm ja auch gut gefallen), gurken wir mit seinem Helden David Cleveland, der einen verschwundenen britischen Jockey suchen soll, über die Straßen von Oslo. Außer „kalt und windig“ will sich aber kein Gefühl für den Ort der Handlung einstellen, ich wußte auch nicht so ganz, wen ich von allen auftretenden Figuren nun überhaupt mochte oder nicht, konnte viele auch nicht auseinanderhalten und fand den Showdown total unglaubwürdig. Dabei weiß ich doch, daß Norwegen ein spannendes Land mit ungewöhnlichen Features ist, selbst wenn ich noch nicht dort war. (Aber wer je Stefanie Baumms Urlaubserzählung gehört hat oder mal ein paar Jazzer von dort live erlebt hat …)
Deutschsprachige Ausgaben:
Dick Francis: Grand Prix für Mord. Übersetzt von Norbert Wölfl. Goldmann, 1968. Auch unter dem Titel: Schnappschuss. Diogenes, 1998.
Dick Francis: Jede Wette auf Mord. Übersetzt von Sigrid Kellner. Ullstein, 1970. / Neu übersetzt von Nikolaus Stingl unter dem Titel: Hilflos. Diogenes, 1994.
Dick Francis: Milord liebt die Peitsche. Übersetzt von Brigitte Fock. Ullstein, 1970. / Neu übersetzt von Nikolaus Stingl unter dem Titel: Peitsche. Diogenes, 1995.
Dick Francis: Tod am Turf. Übersetzt von Ursula Bergmann. Ullstein, 1972. / Neu übersetzt von Michaela Link unter dem Titel: Knochenbruch. Diogenes, 1996.
Dick Francis: Ein Jockei auf Tauchstation. Übersetzt von Gisela Stege. Ullstein, 1974. Auch unter dem Titel: Schlachtritt. Ullstein, 1987. / Neu übersetzt von Jobst-Christian Rohjahn unter dem Titel: Schlittenfahrt. Diogenes, 1996.

Christie_Seven (91x150)Agatha Christie: The Seven Dials Mystery. 1929.
Ich sagte es ja neulich schon: erstaunlich, diese Begeisterung Christies für finstere Geheimgesellschaften, dabei hat sie erkennbar keine Ahnung davon, wie die funktionieren (ich weiß das eigentlich auch nicht, aber so jedenfalls nicht!), und eigentlich waren die auch im englischen Krimi dieser Zeit so gut wie aus der Mode. Was sie aber kann, und damit beginnt hier auch die Erzählung, ist die Schilderung englischen Landlebens (hier auf Chimneys, das schon in einem früherem Roman vorkam), wie es der niedere Adel führt – bzw. was sich die Bürgerlichen so darunter vorstellen. Die eigentliche Protagonistin des Buches tritt allerdings erst später auf, dann aber mit Wucht. Sie ist eine unabhängige höhere Tochter, sehr energisch (was wir an ihrem Fahrstil erkennen) und nicht unbedingt darauf erpicht, sich möglichst schnell zu verheiraten. Ich war dann auch sehr erstaunt, wie fix, ja geradezu unvermittelt sie später in die Arme von – doch halt, so schnell geht’s nun auch wieder nicht. Bis dahin ist es jedenfalls sehr wirr und sprunghaft.
Zum Buch: Der völlig überraschende und unerklärliche Mord an einem jungen Lord in besagtem Landhaus während einer Wochenendgesellschaft führt auf die Spur einer Geheimgesellschaft, die möglicherweise in die politischen Ambitionen einiger anderer junger Herren und älterer Wirtschaftsbosse verwickelt ist …
Deutschsprachige Ausgabe:
Agatha Christie: Der letzte Joker. Übersetzt von Renate von Walter. Scherz, 1975.

Millar_Stranger (90x150)Margaret Millar: A Stranger in My Grave. 1960.
Dieses Buch gehört zu meinen ganz frühen Krimis, mit „früh“ meine ich jetzt so das Alter von etwa siebzehn. (Vorher kannte ich eigentlich nur Sayers, Chandler und Sjöwall/Wahlöö.) Nun habe ich es erstmals seit mehr als dreißig Jahren wiedergelesen, jetzt auch auf Englisch, und war doch ziemlich beeindruckt.
Zum Buch: Zunächst einmal finde ich die Ausgangssituation genauso gruselig wie damals auch: Eine junge Frau träumt, sie habe ihr eigenes Grab gefunden – und im Wachen weiß sie auch ganz genau, wo es liegt. Nur kann sie sich nicht mehr erinnern, was sie an ihrem vermeintlichen Todesdatum wirklich getan hat. Sie heuert einen Privatdetektiv an, der ihr helfen soll, diesen Tag von vor etwa vier Jahren zu rekonstruieren.
Ich hätte mir (heute wie damals) gewünscht, daß die Autorin die Sicht der Protagonistin durchhält; im Laufe des Buches schwindet das unheimliche Element vom Anfang und wird durch ein weniger unheimliches ersetzt. Heraus kommt eine kühle Beschreibung einer feindseligen gesellschaftlichen Atmosphäre im Kalifornien der 1950er Jahre, auch und gerade, was die Einstellung zu Frauen allgemein angeht. Manche der Dialoge sind so voller seelischer Grausamkeit, daß ich in Gedanken Fingernägel über Schiefer kratzen hörte – das hat Millar schon sehr, sehr gut gemacht. Und ich fürchte, diese Situationen sind für manche Menschen heute auch nicht anders … Nur die Liebesgeschichte fand ich unglaubwürdig, aber vielleicht ist die auch der Zeit geschuldet. Lohnenswert ist das Wiederlesen allemal!
Deutschsprachige Ausgabe:
Margaret Millar: Ein Fremder liegt in meinem Grab. Übersetzt von Elizabeth Gilbert. Diogenes, 1969.

Aktuell:
Alte Krimis, neue Sachbücher, ein paar Märchen und Gedichtbände – und die Weihnachtsbücher!

Kategorien: Erlesenes | Schlagwörter: , , , | Kommentare deaktiviert