Oktober 2011

31. Oktober 2011

Liebe Lesende,

wegen des real existierenden Lebens hinke ich mit meinen Büchern jetzt reichlich hinterher (aber gelesen hab ich durchaus!), daher verzeiht, wenn es ein bißchen hopplahopp kommt. Überspringt meine Beiträge, wenn es grad gar nicht paßt, oder legt sie euch für später zurecht, mir ist es recht. Im Buchmesse- und Vorweihnachtsrummel werden wir ja alle mit Kram geradezu beworfen.

Mary Stewart: The Gabriel Hounds. 1967.

Wie Dorothy L. Sayers gehört Mary Stewart seit meiner Jugend zum Lese-Soulfood. Ich erinnere mich, daß meine Mutter die Romane beider Autorinnen immer wieder aus der Stadtbücherei auslieh und jedesmal von neuem verschlang. Das machte mich dann auch neugierig. Da ich als Teenager mehr auf Science Fiction und Fantasy gepolt war, liebte ich vor allem die Merlin/Artus-Bücher von der Stewart, aber ich habe auch ihre Romantic Thrillers immer wieder gern gelesen. Heute beeindruckt mich daran, daß die Heldinnen – junge Frauen – so selbstständig und abenteuerlustig sind, was man sonst aus den 1950er/60er Jahren wenig gewöhnt ist, weder real noch fiktional (ich rede vom gängigen Bild, nicht den Ausnahmen), und dabei sind sie durchaus humorvoll und praktisch und realistisch eingestellt. Aber auch sehr romantisch und gern bereit, sich erst mal in den Bösewicht zu verlieben und später erst ihre wahre große Liebe zu erkennen … Die Stewart kann auch sehr gut „setting“: Die Heldinnen reisen an Orte, die bei Briten als Urlaubsziele beliebt sind (zum Beispiel Südfrankreich), und erleben auf wunderbar sinnliche Art Landschaft und Geschichte.

Zum Buch: In den Gabriel Hounds geht es in den Libanon, und Stewart kennt sich dort so gut aus, daß ich heute per Internet fast jeden Ort vergegenwärtigen konnte. Es ist natürlich ein Libanon vor dem Bürgerkrieg, als Beirut noch als Paris des Nahen Ostens galt und es möglich war, im Gebirge wildromantisches Wiederaufleben von Legenden des 19. Jahrhunderts zu entdecken und auf den Spuren früher Archäologen und exzentrischer reisender Frauen zu wandeln.

Mary Stewart ist 1916 geboren und LEBT noch (in Edinburgh), was ich kaum fassen kann. Sie war Lehrerin und Uni-Dozentin und mit einem Geologieprofessor verheiratet, den sie auf seinen Forschungsreisen begleitete und der sie offenbar auch zum Schreiben ermunterte. (Hier eine inoffizielle Fanseite.)

Deutschsprachige Ausgabe:
Mary Stewart: Die Geisterhunde. Übersetzt von Werner von Grünau. Knaur, 1969.

 

Linda Barnes: A Trouble of Fools. 1987. / The Snake Tattoo. 1989.

Nachdem im Krimi in den 1980ern Privatdetektivinnen in guter alter Hardboiled-Manier der absolute Renner wurden, beginnend in den USA mit Marcia Muller 1977 und dann vor allem Sara Paretsky und Sue Grafton ab 1982 sowie in England Liza Cody ab 1980, gab es eine Welle guter Autorinnen, die so um 1990 auch endlich bei uns landeten. Dazu gehört Linda Barnes (aus Detroit und nicht wie in der DNB angegeben „englische Schriftstellerin und Regisseurin“ -?-), die zunächst einen männlichen Krimihelden hatte und dann mit ihrer Serie um Carlotta Carlyle begann. Ich habe sie erstmals gelesen, als sie auf Deutsch herauskam, und fand sie toll, diese unerschrockene Carlotta mit den langen roten Haaren und dem unkonventionellen Lebensstil (Single – und Katze war damals Pflicht) und ohne Berührungsängste, die nebenbei als Taxifahrerin durch Boston kurvte, und ich mochte sie auch jetzt beim Wiederlesen.

Zu den Büchern: Carlotta steigt ein ist ein guter deutschsprachiger Titel für den Serienerstling, der sich auch heute noch temporeich und spannend liest. Auch der Hintergrund zu Carlottas erstem Fall in der Szene irischer Einwanderer und ihrem Verhältnis zur heutigen irischen Realität hat sicher nur wenig an Aktualität verloren. Der zweite Fall dreht sich um Carlottas Polizeifreund Mooney, der selbst unter Verdacht gerät, und eine Ausreißerin aus guter Familie, die als Nutte unterwegs sein soll, und natürlich sind beide Handlungsstränge enger miteinander verbunden, als Carlotta glaubt.

Deutschsprachige Ausgabe:
Linda Barnes: Carlotta steigt ein. Übersetzt von Erika Ifang. / Carlotta fängt Schlangen. Übersetzt von Jürgen Bürger. Rowohlt, 1990. (beide)

 

Janet Dawson: Kindred Crimes. 1990.

Dieser Erstling hatte nicht so viel Glück mit seinem deutschsprachigen Titel, und die Autorin spielt auch nicht ganz in der Liga von Muller, Paretsky, Grafton und Barnes. Dennoch mochte ich die Serie, die ebenfalls in San Francisco und Umgebung angesiedelt ist, und fand jetzt beim Wiederlesen nur wenige Längen in der Handlung.

Zum Buch: Privatdetektivin Jeri Howard soll die verschwundene Ehefrau ihres Klienten suchen, was sie kreuz und quer durch Kalifornien führt und sich nach und nach als Ermittlung in einem ganz alten Fall entpuppt, den Jeri als Schülerin miterlebt hat.

Deutschsprachige Ausgabe:
Janet Dawson: Das Doppelleben der Renee Foster. Übersetzt von Thomas A. Merk. Knaur, 1993.

 

Gary Larson: Hound of the Far Side. 1990.

Das war natürlich Klo-„Lektüre“, dieser Sammelband mit Cartoons rund um Tierisches. Wobei ich zugebe, daß ich nicht jeden englischsprachigen Witz verstanden habe, das bezieht sich dann womöglich zu sehr auf die aktuellen Umstände ihrer Entstehung (oder es liegt doch an meiner mangelnden Sprachkenntnis). Aber ich liebe einfach diese Schlangen (mit Fünfziger-Jahre-Brillen!) und Hunde und Bären und Monster, die so dermaßen spießig und alltäglich leben und sich über die Menschen und insbesondere Wissenschaftler nur wundern können …

Deutschsprachige Ausgabe (vermutlich):
Gary Larson: Der Hund der anderen Seite. Übersetzt von Christoph Göhler. Goldmann, 2001.

 

Dick Francis: Reflex. 1981. / Proof. 1984. / The Edge. 1988. / Straight. 1989.

Also, das ist natürlich Eskapismus pur. Ich bin sonst nicht so für Pferde, schon gar nicht im Krimi, aber Dick Francis ist eine Klasse für sich. In den 1970/80ern hatten seine Krimis den größten Erfolg; alle fragten sich, wie er wohl das Thema Pferd in seinem nächsten Buch unterbringt. Und er brachte es immer super unter, meist auch noch ein weiteres Thema, das nichts mit Pferden zu tun hatte, und er brachte vor allem eins unter: einen Helden, der fast zu gut ist, um wahr zu sein. Sozusagen der edle weiße Ritter per se. Alle seine Helden, seien sie Jockeys, Züchter, Trainer oder in ganz anderen Berufen, sind nicht nur sympathisch, sondern auch tatkräftig, einfallsreich, höflich, selbstbewußt, rücksichtsvoll und eben rundum ritterlich, während sie sich selbst erst so richtig entdecken. Frau möchte sie sofort heiraten, ich schwör’s Euch, und das funktioniert auch heute noch prima. Noch dazu sind die Fälle spannend erzählt, handwerklich sauber, nicht zu tough und nicht zu cozy, aber als Nachtlektüre ungeeignet, denn man kommt nicht zum Schlafen. Francis hat meist in jedem Buch einen neuen Amateurermittler, der im engeren oder weiteren Umfeld des Themas Pferd in irgendeiner Verbrechensaufklärung tätig werden muß. Dabei wird oft das Zusatzthema gelungen eingebaut, nicht dozierend, kein Info-Dump, das ist eine weitere Stärke von Francis. Und er ist ein Meister des ersten Satzes.
Dick Francis war selbst früher ein erfolgreicher Jockey und begann dann zu schreiben; es ist inzwischen weithin bekannt, daß er die Krimis gemeinsam mit seiner Frau Mary geschrieben hat. Bei den letzten seiner mehr als 40 Romane ist Sohn Felix als Co-Autor angegeben. Dick starb voriges Jahr, Mary schon 2000.
Ich hab jetzt alle geerbt und Wiederlesen gefeiert. Man sollte natürlich nicht alle auf einmal lesen, aber ich muß mich schon zwingen, nicht gleich den nächsten anzufangen, wenn ich einen fertig habe. Zuerst mal habe ich meine erklärten Lieblinge wiedergelesen, das sind diese vier.

Zu den Büchern: In Reflex geht es um Erpressung und ums Fotografieren, mit genial ausgedachten Foto„rätseln“. (Analog, natürlich – aber weil von Francis beschrieben, versteht es jeder Laie problemlos.)
In Proof wird ziemlich viel Wein getrunken auf der Suche nach gepanschtem Whisky, und es gibt ausnahmsweise mal keine Liebesgeschichte, dafür jedoch sehr eklige Morde, und das Thema Pferd ist eher randständig. Der Held ist sehr melancholisch, und der Showdown bleibt im Gedächtnis.
In The Edge werden Rennpferde per Sonderzug quer durch Kanada transportiert, und für die mitreisenden Besitzer wird im Zug ein Krimispiel aufgeführt – das natürlich nahtlos in echtes Verbrechen übergeht. (Gibt nicht immer Mord bei Francis.)
In Straight lernen wir viel über den Handel mit Diamanten, weil ein Jockey das Geschäft seines ermordeten Bruders übernehmen muß – und nicht nur das Geschäft, sondern auch alles andere, einschließlich der Geliebten und des Mörders. (Der Jockey humpelt auf Krücken durchs Buch, und ich erwischte mich dabei, daß ich während der drei Tage, in denen ich es gelesen habe, auch anfing zu humpeln …)

Deutschsprachige Ausgaben:
Dick Francis: Reflex. Übersetzt von Malte Krutzsch. Ullstein, 1982. Neu übersetzt von Monika Kamper. Diogenes, 1991. / Weinprobe. Übersetzt von Malte Krutzsch. Ullstein, 1986. / Gegenzug. Übersetzt von Malte Krutzsch. Diogenes, 1992. / Unbestechlich. Übersetzt von Jobst-Christian Rojahn. Diogenes, 1990.

 

Janwillem van de Wetering: De lege spiegel / The Empty Mirror. (1971? 1972? 1973?)

Er ist uns mehr als Krimiautor bekannt, hat aber auch drei Bücher über seine Erfahrung mit Zen-Buddhismus geschrieben, und in das Thema schnuppere ich selbst seit einiger Zeit hinein. Van de Wetering ist in den Niederlanden geboren und aufgewachsen, siedelte aber 1975 in die USA über. Schon vorher hat er seine Bücher teils in beiden Sprachen, teils zuerst auf Englisch geschrieben (und sie sind teils aus dem Niederländischen, teils aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt worden, was die Bibliographie nicht gerade erleichtert).

Zum Buch: Mit Ende 20 verbrachte van de Wetering anderthalb Jahre in einem buddhistischen Kloster in Japan, um Zen zu studieren, und über diese Zeit schreibt er in Der leere Spiegel. Als „schwärmerisch“ kann man seinen Bericht nicht bezeichnen, er ist sehr realistisch und kühl, vielleicht sogar fast zu streng, was den Autor selbst angeht. Und es ist nicht ein Buch über Zen, sondern ausschließlich ein Buch über diese persönlichen Erfahrungen. Was bleibt, ist ein vager Eindruck vom alltäglichen japanischen Klosterleben Ende der 1950er und den Schwierigkeiten, die ein westlich geprägter Mensch damit hat. Hin und wieder blitzt ein Satz auf, der die Gedanken in Bewegung bringt; vielleicht unwillkürlich prüft man sich beim Lesen: Wie hätte ich mich in solch einer Situation verhalten? Ich konnte jedoch weder mit Buch noch mit Autor warm werden, ganz buchstäblich, und wenn ich nicht schon vor langer Zeit die Amsterdamer-Krimis mit Grijpstra und de Gier und dem Commissaris gelesen und gemocht hätte, würde ich wohl kein anderes seiner Bücher in die Hand nehmen wollen. Das sage ich heute, in meiner eigenen Situation; wahrscheinlich hat das Buch, als es erstmals erschien, ganz anders gewirkt und hat auch ganz andere Menschen angesprochen. (Ein Gemeinplatz, ich weiß. Aber.)

Deutschsprachige Ausgabe:
Janwillem van de Wetering: Der leere Spiegel. Nach der englischsprachigen Fassung übersetzt von Herbert Graf. Kiepenheuer und Witsch, 1977.

 

Aktuelle Lektüre:
Englische Häkelkrimis mit und ohne Pferde sowie Wiederentdeckungen aus meinem Science-Fiction/Fantasy-Regal (auf die Nacht).

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