April 2013

30. April 2013

Liebe Leserinnen und Leser,
die Ausbeute des abgelaufenen Monats ist vielseitig, nicht nur, was den Umfang mancher Bücher angeht. Folgen Sie mir in die erdachten Welten, auch wenn sie manchmal wenig von dieser Welt sind!

5453 (89x150)Terry Pratchett: The Wee Free Men. 2003.
Zu viel Terry Pratchett kann schnell zu viel sein, aber in Häppchen – buchweise also – ist er immer toll. (Auch spannend: seine Bio.) Dieses Buch war der Tip eines Freundes. Es richtet sich zwar eher an ein jüngeres Publikum, sagt der Verlag, aber ich finde, das merkt man nicht, wenn man das nicht weiß, und einfach nur so zum Spaß liest. Es gibt schließlich auch andere Werke, deren ProtagonistInnen Kinder sind und die damit nicht automatisch zu Kinderbüchern werden …
Zum Buch: The Wee Free Men ist der Start einer neuen Teilserie in Pratchetts Scheibenwelt-Universum und erzählt, wie die junge Hexe Tiffany Aching ihr Hexentalent entdeckt und erstmals einsetzt. Sie verfährt nach learning by doing, und zimperlich ist sie dabei nicht gerade.
Jetzt als Erwachsene mag ich diese wahnsinnig zielstrebigen weiblichen Gören, aber ich glaube, als Kind hätte mich Tiffany arg eingeschüchtert, auch wenn sie keineswegs perfekt oder frei von Zweifeln ist. Und weil ich Pratchetts Talent, immer wieder etwas völlig auf den Kopf zu stellen oder schraubenartig seitwärts zu verdrehen, sehr bewundere, kann ich ihn jetzt unbeschwert genießen und lachen und staunen.
Deutschsprachige Ausgabe:
Terry Pratchett: Kleine, freie Männer. Übersetzt von Andreas Brandhorst. Goldmann, 2005.

4322 (93x150)Ann Granger: Say It With Poison. 1991.
Zum Buch: Das ist der erste Krimi der Britin Ann Granger und der Start ihrer Serie um die Botschaftsmitarbeiterin Meredith Mitchell und Chief Inspector Alan Markby. Noch ist Meredith nur zu Besuch im ländlichen Oxfordshire, wohin sich ihre Cousine, ein früherer Filmstar, zurückgezogen hat. Deren Tochter will einen Londoner Finanzexperten heiraten und möchte ihre Lieblings- und einzige Tante dabeihaben. Doch es gibt auch in der kleinsten Familie tiefe und mitunter tödliche Geheimnisse, wie Meredith erkennen muß, als sie einen benachbarten Maler und Töpfer tot in seinem Atelier findet … Am Ende bleibt offen, ob Meredith nach England und vielleicht auch zu Markby zurückkehren wird, aber sie hat immerhin zusammen mit dem Fall auch ein paar private Verwicklungen aufgeklärt.
Die Serie ist sehr erfolgreich in Deutschland, weil sie unsere typischen Vorurteile über England – besonders die positiven! – bestätigt: ein moderner cozy mit viel ländlichem Englandflair und Familiengeheimnissen, Gärten und Giften, einer zeitgemäßen Liebesgeschichte und Hauptfiguren, die keineswegs stromlinienförmig sind und deren Umgang miteinander viele Möglichkeiten verspricht. Die Autorin ist eine hoch gebildete und weltgewandte Frau, sympathisch und sehr ladylike und mit subtilem Humor, und ich treffe sie immer wieder gern!
Deutschsprachige Ausgabe:
Ann Granger: Mord ist aller Laster Anfang. Übersetzt von Edith Walter. Bastei, 1997.

1309 (89x150)Ingrid Bachér: Die Tarotspieler. Rasch und Röhring, 1986.
Buchstabe B aus meiner Lesereihe „Deutschsprachige Autorinnen aus eigenen Buchbeständen“. Das Buch hatte ich damals gekauft, weil es auf einem Kongreß für ÜbersetzerInnen spielt und auch Tarotkartenlegen vorkommt, hatte es aber wohl nie ganz gelesen. Nun aber war seine Stunde gekommen!
Zum Buch: Laut Klappentext handelt es sich um einen „philosophischen Roman“. Ich weiß jetzt immer noch nicht, wie das eigentlich gemeint ist, vielleicht bin ich auch nicht so ganz die Zielgruppe. Aber als Übersetzerin habe ich gegrinst, als ich die Schilderung des Kongreßablaufs las, selbst wenn da einige skurrile Übertreibungen eingebaut sind (ein junger Wilder verlangt, daß die KollegInnen in Streik gehen und viel gebrauchte – quasi verbrauchte – Wörter nicht mehr benutzen, ja, sich auf überhaupt nur ganz wenige beschränken; damit soll die Welt sich der Kostbarkeit von Wörtern bewußt werden …), und gedacht: Ja, genau so läuft es ab! Obwohl der Kongreß im Buch in San Remo stattfindet, sind die hauptsächlich auftretenden Figuren alle deutschsprachig (nach meiner Erfahrung glucken die bei internationalen Veranstaltungen nicht so zusammen). Abends sitzen sie immer auf der Terrasse und legen Tarotkarten, nach denen sie einander Geschichten erzählen. Es geht um (Liebes-)Beziehungen und um Intellektualität, und vermutlich weil ich nicht zur richtigen Zielgruppe gehöre, fand ich viele Passagen eher verschenkt und ein bißchen zu sehr konstruiert. Auch hatte ich Probleme, die Figuren auseinanderzuhalten; aber wahrscheinlich sollten sie ja auch nicht als Individuen rüberkommen, sondern als Prinzipien, und so was ist an mich natürlich total verschwendet …
Trotz des für mich manchmal schwierigen Dabeibleibens hab ich das Buch jetzt komplett gelesen, und ich hab das auch gern getan; die Konstruktion von Rahmenhandlung (ÜbersetzerInnen-Kongreß) und Binnenerzählungen (nach Tarotkarten) finde ich gut, selbst wenn sie literarisch nun nicht so wahnsinnig originell ist, und natürlich hab ich die Details zum Kongreß und aus den jeweiligen ÜbersetzerInnen-Leben genossen – die Autorin weiß aus eigener Erfahrung, wovon sie da spricht, und sie war und ist aktiv in diversen SchriftstellerInnenverbänden. Ihr Werk umfaßt Kinder- und Jugendbücher sowie Romane und Erzählungen, die sich an Erwachsene wenden, dazu Reiseschilderungen.

2778 (96x150)Lesley Egan: A Case for Appeal. 1961.
Lesley Egan ist eins der zahlreichen Pseudonyme von Elizabeth Linington, einer überaus fleißigen amerikanischen Krimiautorin (1921-1988).
Zum Buch: Mit diesem Band startete Egan im Grunde gleich zwei Reihen: die eine mit dem sympathischen und gut aussehenden jungen Anwalt Jesse Falkenstein in Los Angeles, die andere mit dem sympathischen und gut aussehenden jungen Polizisten Vic Varallo in Glendale in Kalifornien. Die beiden kennen sich von der Uni, weswegen Vic in diesem Buch Jesse bei einem kniffligen Fall zu Hilfe ruft. Noch befinden wir uns in dem kleinen Ort Contera. Jesse soll vor Gericht eine Frau vertreten, die Vic für unschuldig hält – leider gibt es sieben Zeugen, die Ruth Vernis belasten, am Tode von zwei Frauen schuld zu sein, die beide kurz zuvor abgetrieben haben. Und weil Ruth noch nicht lange in Contera wohnt und die Tochter eines Arztes ist, wird sie natürlich auch gleich dieser Abtreibungen verdächtigt. Vor Gericht verliert Jesse, aber er geht in Berufung, und bis dahin prüft er eingehend, ob die Zeugen auch wirklich die Wahrheit gesagt haben.
Die Autorin zeigt eigentlich ganz gut, wie provinzielle Vorurteile und kleinstädtische Verflechtungen zusammenwirken beim Vertuschen eigener Fehltritte und dem Abschieben der Schuld auf Unbeteiligte, und sie macht auch deutlich, wo die sozialen Schichten im Westen der USA Anfang der 1960er genau verlaufen. So konnte ich all die sympathischen und gut aussehenden jungen Leute (auch Vic hat da eine, die er liebt) ab und zu mal ausblenden und diesen wirklich spannend und zügig erzählten Krimi genießen, obwohl Justizkrimis sonst nicht so ganz mein Fall sind. Da ich nur die deutschsprachige Fassung gelesen habe (in deren Klappentext Lesley Egan als „er“ bezeichnet wird), kann ich nicht sagen, ob gekürzt wurde; falls ja, dann war das eine ordentliche Arbeit, wie auch die Übersetzung gut lesbar ist. Und ich freue mich darauf, Jesse und Vic wiederzubegegnen!
Deutschsprachige Ausgabe:
Lesley Egan: Ein Fall für die Berufung. Übersetzt von Tony Westermayr. Goldmann, 1962.

Mary Scott: Strictly Speaking. 1969.
Eigentlich habe ich dieses Buch nur versehentlich gelesen (weil ich schnell Lektüre für die U-Bahn brauchte), denn von Mary Scott wollte ich in erster Linie die Krimis sammeln und nicht ihr komplettes Werk. Nach dem deutschen Titel jedoch hoffte ich, daß es im besagten Teehaus auch reichlich Leckereien zu essen gibt, und wollte diese Schilderungen genießen. Ich sag’s mal gleich: Ja, es gibt viel zu essen, und nein, wir erfahren leider keinerlei Einzelheiten darüber …
Zum Buch: Hingegen erfahren wir viel über das Leben und besonders die Liebesverwicklungen der beiden Hauptfiguren, Freundinnen aus der Schulzeit. Sie treffen sich nach einiger Zeit der Trennung wieder, ziehen zusammen, gewinnen im Lotto und legen das Geld in einem Haus im Grünen an, in dem sie ein Café („tea room“) eröffnen. Die eine trauert noch einem Jüngling nach, der sie nach einem Streit wortlos hat sitzenlassen; die andere verliebt sich schnell in den Vorbesitzer des Hauses, trotz ihres großen Altersunterschieds (die Mädels sind Anfang zwanzig, der Ex-Besitzer knapp vierzig oder so, jedenfalls uralt). Nach einigem Hin und Her kriegen sie sich natürlich, und weil ja dann selbstverständlich (da es 1969 auch in Neuseeland nicht anders denkbar war, schätze ich) die eine das Café aufgeben muß, wird für die andere auch noch schnell der Wortlose herbeigezaubert, der natürlich ganz unschuldig ist an der Wortlosigkeit. Seufz. Wir erfahren leider nicht, was letztlich aus dem Café wird. (Ich muß mir so ein Buch vermutlich selbst schreiben.)
Beim Lesen dachte ich dauernd: All diese Problemchen hätten sich gleich vermeiden lassen, wenn die Figuren mal richtig miteinander geredet hätten, sich hätten ausreden lassen und nicht ständig irgendwelchen eigenen Vermutungen vertraut, sondern einfach mal nachgefragt hätten. Natürlich hätte die Autorin dann keinerlei Plot mehr gehabt!
Deutschsprachige Ausgabe:
Mary Scott: Das Teehaus im Grünen. Übersetzt von Nora Wohlmuth. Goldmann, 1976.

4230 (90x150)C. J. Cherryh: Downbelow Station. 1981.
Zum Buch: Wir befinden uns im Jahre 2352. Die raumfahrende Menschheit hat im Orbit um Tau Ceti einen Planeten gefunden, der von denkenden Wesen besiedelt ist – die ersten intelligenten Lebensformen, die entdeckt wurden, der erste für Menschen nicht unmittelbar tödliche Planet. Dennoch verfahren sie nach bewährtem Muster und bauen, wie schon in so vielen anderen Planetensystemen, eine Raumstation, auf der die Menschen leben und arbeiten. Downbelow, wie sie den Planeten nennen, besuchen sie nur wenig. Doch dann bricht zwischen den verschiedenen Fraktionen der raumbewohnenden Menschheit Krieg aus, und die Station liegt plötzlich mittendrin. Sie wird von Flüchtlingen überschwemmt, und während die Stationsbewohner noch mit diesem Problem ringen, nähern sich die Flotten der Gegner: die Raumschiffe der mächtigen Erdkompagnie, die ursprünglich den Weltraum erforschte, und diejenigen der Menschen, die bereits im All, auf Stationen um fremde Sonnen, auf anderen bewohnbaren Planeten geboren wurden und nun nicht mehr einsehen, daß die Erdkompagnie weiter über sie bestimmen soll – wobei die Erdkompagnie nicht identisch ist mit der Regierung der Erde, die jegliche Expansionspolitik ablehnt. Und es gibt Verräter und Überläufer in alle Richtungen, aus Angst, aus Gier, aus Verzweiflung, aus Machtstreben oder weil ihnen nichts anderes mehr geblieben ist. Daß dabei sowohl die Station als auch die Einheimischen von Downbelow am meisten zu verlieren haben, kümmert die anderen Fraktionen nicht.
Trotz des exotischen SF-Settings ist dies letztlich ein eher politischer Roman, und auch wenn Raumschiffe und Sterne und Aliens darin vorkommen, handelt er von menschlichen Problemen, vor allem denen, die sie miteinander haben. Ich habe das Buch schon mehrfach gelesen, wie die meisten Romane von C. J. Cherryh, und finde es immer noch gut, und es ist auch heute noch alles andere als veraltet.
Deutschsprachige Ausgabe:
C. J. Cherryh: Pells Stern. Übersetzt von Thomas Schichtel. Heyne, 1984.

0161 (115x150)Hans Joachim Alpers,  Werner Fuchs und Ronald M. Hahn: Dokumentation der Science Fiction ab 1926 in Wort und Bild. Tandem, 1978.
Das ist eigentlich kein Buch, sondern eine Zeitschrift, die angeblich alle Vierteljahre mit verschiedenen Themen erscheinen sollte; aber so weit ich das ersehe, ist wohl nur diese erste Nummer (ohne Nummer) veröffentlicht worden.
Zum Buch: Das 130 Seiten starke Heft bringt vor allem die Geschichte der SF in den USA und in Deutschland im „Wort“; der Bereich „Bild“ besteht aus zahlreichen Cover-Abbildungen früher SF-Zeitschriften und Bücher, vorwiegend aus den USA (das ist auch interessant, aber weniger durchstrukturiert). Nach einem kleinen Lexikonteil mit Kurzbios der bekanntesten SF-AutorInnen aus den USA und England folgt eine Liste der „wichtigsten“ Romane, und dann geht es erst richtig los: Fünf Aufsätze beschäftigen sich mit der SF ab 1926, der SF in Deutschland ab 1952, den jeweiligen Vorläufern in englischsprachigen bzw. deutschsprachigen Landen, und abgerundet wird das Ganze mit einem kurzen Exkurs über die Geschichte der Unterhaltungsliteratur (für Deutschland bis 1952) und welche Bedingungen für ihr Entstehen im 19. Jahrhundert erfüllt sein mußten.
In dieser gedrängten und thematisch breiten Form gab es Ende der Siebziger noch gar nichts in deutscher Sprache über Science Fiction, geschweige denn über die deutschsprachige SF überhaupt. Glücklicherweise konnten die Autoren des Hefts etwas später ihr Wissen in einem zweibändigen Lexikon ausbreiten; eine Heftpublikation hat es doch wirklich sehr schwer, zu überleben, und ich kann heute auch nicht mehr sagen, wie ich (vermutlich 1978) daran gekommen bin. Trotz aller Tippfehler ist das Heft immer noch ganz gut zu lesen und überhaupt auch ein wichtiger Baustein der SF-Sekundärliteratur, und ich bin sehr froh, daß ich es habe. (Die frühen SF-Cover wirken heute doppelt skurril!)

Aktuell:
Viel angelesen, teils noch im Vormonat – Krimi, Science Fiction, Kinderbuch, Astrophysik, Lyrik, Erotica und Gartenbuch -, aber zur Zeit ruft das reale Leben stark nach mir, da komme ich kaum dazu, mich hinzusetzen und in Lektüre zu versenken …

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