Oktober 2012

31. Oktober 2012

Geschätzte Buch-Freundinnen und -Freunde,

hier die Leseausbeute des Monats.

 

Veronica Stallwood: Oxford Exit. 1994.

Zum Buch: Ein Krimi, der natürlich in Oxford spielt und zur Abwechslung mal in der Jetztzeit. Die Liebesromanautorin Kate Ivory nimmt aus Geldmangel zusätzlich den Auftrag an, in den Oxforder Bibliotheken nachzuforschen, wer da und wie genau Bücher klaut. Sie wird eingeschleust als Bibliothekarin und soll offiziell ermitteln, wie lange es für jede Bibliothek dauert, die Angaben aus den Karteikästen in den Computer einzugeben. Während ihrer Tour durch die Institutionen entdeckt sie schnell, wie man die Bücher nicht nur klaut, sondern auch die Computereinträge löscht – und sie stößt auf den Mord an einer Hilfsbibliothekarin, der sie erheblich mehr interessiert.

An sich könnte das eine tolle Geschichte sein, die alles enthält, was mich so fasziniert: eine Autorin, das Schreiben, Oxford, Bibliotheken und Bücher, ein Mord … nur leider vertraut Stallwood offenbar nicht dieser Story, sondern flicht die Geschichte eines Mörders ein, von ihm selbst (scheinbar im Rahmen einer Schreibgruppe) erzählt, und das viel zu ausführlich. Das führt dazu, daß beide Stränge eher dünn wirken und ich mich beim Lesen lange gefragt habe, was jetzt eigentlich die Hauptstory ist und wozu ich die gesamte Kindheit des Mörders wissen muß. (Ich kann das sowieso nicht leiden, wenn “Mörder spricht” – insbesondere, wenn er das in kursiv tut! – eingeschoben wird; das ist so oft ein billiges Mittel zur Spannungserzeugung und mittlerweile auch reichlich abgegriffen.) Auch der ganze Schreibgruppenkram störte nur, denn es sollte doch eigentlich mehr um die Bibliotheken gehen, allenfalls noch um die geklauten Bücher. Zwar gewinnt der Text unterwegs einigermaßen, auch wenn er am Anfang sprachlich und erzählerisch eher dürftig wirkte; aber ich war durch das ganze Hin und Her und einige Figuren verwirrt, die anscheinend nur pro forma auftauchten oder weil die Hauptfigur (die Liebesromanautorin) anders nicht an Info herangekommen wäre.
Und auch wenn die Übersetzung an sich ganz okay war, es waren drei sachliche Fehler drin, die mich sehr geärgert haben, weil sie mit etwas Recherche oder Aufmerksamkeit nicht hätten sein müssen (mushy peas – “matschige Erbsen”, eigentlich: Erbspüree / establishment – “Establishment”, an der Stelle eigentlich: Institution / mysteries of Nancy Drew – “die Mysterien der Nancy Drew”, eigentlich: die Krimis um Nancy Drew).

Deutschsprachige Ausgabe:
Veronica Stallwood: Letzte Ausfahrt Oxford. Übersetzt von Ulrike Werner-Richter. Bastei, 2005.

 

Dorothy L. Sayers: Strong Poison. 1930.
Als Wohlfühllektüre diesmal nicht Francis, sondern Sayers, auch weil ich ja gerade auf der Jahrestagung der Sayers-Gesellschaft (dieses Jahr in Oxford!) gewesen bin.

Zum Buch: Lord Peter Wimsey begegnet erstmals der Krimiautorin Harriet Vane und verliebt sich sofort in sie – dumm nur, daß sie gerade wegen Mordes an ihrem früheren Geliebten vor Gericht steht und die Todesstrafe befürchten muß! Lord Peter hat nicht nur den Ehrgeiz, alle Indizien, die gegen Harriet sprechen, völlig zu entkräften, sondern will auch den wahren Täter ermitteln. Die Zeit drängt. Lord Peter spannt unter anderem seine tüchtige Miss Climpson ein, die eine sehr dünne Spur zu einer geheimnisvollen alten Tante des Opfers verfolgt.

Es ist ungemein witzig, Miss Climpsons Briefe an Lord Peter zu lesen, in denen sie ihre Nachforschungen schildert, die sie einfallsreich und energisch vorantreibt – auch wenn sie dafür an einer Seance teilnehmen muß, bei der sie sogar als Medium auftritt. Sehr erheiternd auch Lord Peters eigene Ausflüge in die Halbwelt von Künstlern und Schriftstellern, bei denen er Harriets Freunde und Feinde kennenlernt, oder wie sein Butler Bunter sich beim Hauspersonal eines Verdächtigen lieb Kind macht … Ich will jetzt für diejenigen, die das Buch noch nicht kennen, gar nicht mehr verraten, außer daß es natürlich gut ausgeht!

Deutschsprachige Ausgabe:
Dorothy L. Sayers: Geheimnisvolles Gift. Übersetzt von Hilda Maria Martens. Nest, 1951. / Neu übersetzt von Otto Bayer unter dem Titel Starkes Gift, Wunderlich, 1979.

 

Phil Rickman: The Secrets of Pain. 2011.

Dem neuen Band der Serie um die Vikarin und Exorzistin Merrily Watkins habe ich mit Spannung entgegengeblickt, denn mir gefällt diese düstere und geheimnisvolle Atmosphäre des Landstrichs zwischen England und Wales, die als voller Skurrilitäten, Geister, Magie und Geschichte geschildert wird. Merrily ist auch alleinerziehende Mutter einer mittlerweile fast erwachsenen Tochter, die sich für alles Magische und Neopagane brennend interessiert und dazu ein störrischer Teenager ist, und seit einigen Bänden ist Merrily zusammen mit dem Folkmusiker Lol, der immer noch von seinen eigenen Geistern verfolgt wird. Als offizielle Exorzistin der Diözese hat Merrily ohnehin einen schweren Stand – die einen glauben ihr natürlich kein Wort, die anderen sind die bösen Einflüsse, denen sie entgegentreten muß. Rickman schildert das immer so, daß sowohl eine rationale als auch eine magische Erklärung der Vorgänge plausibel erscheint, das finde ich sehr gelungen.

Zum Buch: Diesmal erreicht Merrily der indirekte Hilferuf eines Exorzisten-Kollegen, der sich als Mitglied einer Einheit von britischen Elitesoldaten zu den wahren Vorfällen sehr bedeckt hält – zu bedeckt, denn als er plötzlich und unerklärlich stirbt, fällt es Merrily nicht leicht, seine “Ermittlungen” bei der Armee fortzusetzen. Währenddessen schlägt sich die Polizei mit dem Mord an einem angesehenen Farmer und einem Doppelmord an zwei Bulgarinnen herum, und das Dorf, in dem Merrily lebt, wird von reichen Londoner Geschäftleuten überflutet, die entweder die Häuser aufkaufen und totverniedlichen oder sich an dubiosen Survivalkursen beteiligen.

Ihr seht vielleicht schon das Problem: Es ist zu viel drin in diesem Buch. Das kann es trotz den großen Seitenumfangs diesmal nicht tragen, auch wenn all diese Aspekte (und einige weitere) tatsächlich miteinander verwoben sind. Am meisten jedoch hat mich gestört, daß Merrily zu wenig Raum in der Geschichte gegeben wurde – schließlich ist sie die Figur, die in der Serie alles verbindet. Auch fand ich, daß sie und die anderen Frauenfiguren in den früheren Bänden besser gelungen waren (bzw. richtig gut!). Aber vielleicht muß ich einfach akzeptieren, daß jede Serie auch ihre schwächeren Teile hat. (Noch keine deutschsprachige Übersetzung. Hierzulande ist man erst bei dem vorvorigen Band der Serie.)

 

Martin Keune: Groschenroman. Be.Bra, 2009.
Dieses Buch hab ich quasi auf einen Sitz verschlungen, weil es nicht nur ungeheuer spannend und schön flüssig plaudernd geschrieben ist, sondern weil auch die Geschichte fesselt. Selbst wenn das für mich an sich nicht ausschlaggebend ist bei der Lektüre, aber diesmal war für mich auch nicht ganz unwichtig, daß es sich um eine wahre Geschichte handelt.

Zum Buch: Der junge Axel Rudolph lernt Bergmann im Ruhrgebiet Ende der 1920er. Doch das Leben ist nicht einfach in dieser Zeit, er verliert seinen Job und beinahe alles andere auch, bis er einen Mann kennenlernt, der ihm von seinen aufregenden Afrikareisen erzählt. Das muntert Axel derart auf, daß er sich traut, an einem Drehbuchwettbewerb der UFA teilzunehmen – denn Geschichten erfinden und erzählen kann er am besten, sie fließen ihm nur so aus der Feder. Tatsächlich kommt er unter die Gewinner, geht nach Berlin und arbeitet für die UFA. Aber weil Axel auch lebenslustig und unbekümmert und temperamentvoll ist, legt er sich versehentlich mit den Nazis an, die inzwischen nach und nach alles vereinnahmen. Er taucht erst mal ab, schreibt Abenteuerschmonzetten und Krimis und alles mögliche unter diversen Pseudonymen und kommt langsam wieder zu Geld. Doch die Nazis sind noch nicht fertig mit ihm.

Boah, hat mich das mitgenommen! Ich kannte zwar den Ausgang noch nicht, als ich das Buch las, aber man mußte ja doch das Schlimmste befürchten … und die Schilderungen, wie Andersdenkende und schließlich so gut wie alle bespitzelt, denunziert, verfolgt und gequält wurden, stand mir deutlich vor Augen. Besonders beklemmend diese Atmosphäre des Mißtrauens und der Angst, daß man sich verbergen mußte, aufpassen, was man zu wem sagte – und der gute Axel sagte eine Menge Unpassendes zu den total falschen Leuten! Wie er dabei immer noch schreiben konnte und einen Haufen Unterhaltungsliteratur sogar veröffentlichen, ist schlichtweg bewundernswert.
Auch wenn es eher als Romanbiographie daherkommt, ist das Buch doch sorgfälig recherchiert, die Quellen sind aufgeführt. Leider fehlten dem Autor immer noch viele Belege, von denen man zwar weiß, daß sie existiert haben, aber nicht, ob sie noch irgendwo vorhanden sind. Für mich – und für alle deutschsprachigen KrimiautorInnen – kann Axel Rudolph als einer unserer “Vorfahren” gelten, und am Schicksal seiner Bücher sehen wir auch beispielhaft einen Teil der Geschichte der deutschsprachigen Kriminalliteratur: Der Krimi lebt in der Demokratie, jeder Diktatur ist er verdächtig – sei es als “wehrkraftzersetzend”, zu unpolitisch oder mit der falschen Politik. Was übrigens dazu führte, daß auch nach dem Zweiten Weltkrieg Rudolphs Bücher oder sein Andenken nicht gerade freundlich behandelt wurden. Na ja, und weil der Krimi ja “nur” Unterhaltung ist, wurde und wird er auch in der Demokratie nicht ernstgenommen – oder höchstens, wenn ihm ein “literarisches” Mäntelchen umgehängt werden kann (was bei Axel Rudolph wohl nicht geht). Es gibt viele Formen von Unterdrückung.

 

Elly Griffiths: The Crossing Places. 2009.
Ich kannte die Autorin (eine Britin) noch nicht und nahm daher dieses Buch mal mit, guckte nur mal rein, dachte: “Ach, schon wieder eine Heldin, die mit ihrer Figur nicht zufrieden ist und zwei Katzen hat, schon wieder eingeschobene Textstücke in kursiv – grrrr -, schon wieder im Präsens erzählt” … und fand mich dann in der Mitte des Buches wieder, als ich es widerstrebend aus der Hand legen mußte und die Lektüre erst nach ein paar Tagen fortsetzen konnte (dann aber in einem Stück).

Zum Buch: Ruth Galloway ist forensische Archäologin an der (fiktiven) Universität von Norfolk in England. Ihre Spezialität ist Bronze-/Eisenzeit, daher hatte sie auch vor einigen Jahren an einer Ausgrabung an der Nordseeküste teilgenommen, sich in die Landschaft verliebt und war geblieben. Jetzt wird sie von der Polizei als Expertin für einen Fall konsultiert: Sind die im Watt gefundenen Knochen frühgeschichtlich oder etwa doch diejenigen eines lange verschwundenen kleinen Mädchens? Ruth erkennt das Alter der Knochen auf zweieinhalbtausend Jahre – für sie ein beruflicher Glücksfall, für den ermittelnden Polizisten enttäuschend. Und dann wird noch ein kleines Mädchen entführt …

Natürlich besteht auch dieser Krimi aus den genreüblichen Bausteinen, aber irgendwie waren sie geschickt und erfrischend anders kombiniert. Ruth ist nämlich, trotz ihrer Selbstwahrnehmung, eine aktive und kompetente Frau mit entschiedenen Ansichten, der Polizist ist nicht nur verheiratet mit zwei Kindern und ruppig und Vollmacho, sondern auch akribisch, hartnäckig und wenn es sein muß auch einfühlsam, und auch die jeweiligen Kollegen und Angehörigen der Opfer und sonstige Figuren sind immer “nicht nur, sondern auch”, und das nicht auf plakative oder gewollte Art, sondern überzeugend dargestellt. Das machte die Lektüre für mich spannend, denn ich mußte ja stets damit rechnen, daß die sattsam bekannten Muster eben nicht verfolgt wurden (wurden sie auch nicht). Außerdem hat mich das Thema Archäologie, hier speziell der Bronze-/Eisenzeit ebenfalls interessiert (auch weil in meinem aktuellen Leben erstaunlich viele Kelten vorkommen!).

Deutschsprachige Ausgabe:
Elly Griffiths: Totenpfad. Übersetzt von Tanja Handels. Wunderlich, 2009.

 

Aktuell:
Ein ganz, ganz, ganz besonderer Lese-Leckerbissen und parallel eine Handvoll klassischer Häkelkrimis von Frauenhand.

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