August 2012

31. August 2012

Liebe Lesende,

bei Lesewetter (was wahlweise auf sonnenüberflutetem Balkon stattfindet oder in kuscheligem Lesesessel, wenn’s draußen regnet und windet) greift man zu Bewährtem.

 

Karlheinz Eckardt: Mit Kara ben Nemsi durch den Orient. Karl-May-Verlag, 2004.

Er ist seit hundert Jahren tot, aber lebendig wie eh, zumindest in den Köpfen und Herzen seiner Fans: Karl May. Sein Verlag (der sich ausschließlich mit dem Leben und Werk von May befaßt) hat bereits vor einigen Jahren dieses und das folgende Buch herausgebracht, in denen sich Fans auf die Spuren von Mays bekanntesten Helden gesetzt haben und erforschen, wie deren Heimat heute aussieht und ob noch eine Ahnung vorhanden ist, wie sie damals ausgesehen hat – als die fiktiven Helden durch eine vollständig vom Autor imaginierte Landschaft ritten. Daß Figuren und Settings (egal wie erfunden) immer noch faszinierend sind, ist Mays Verdienst; und Mit Kara ben Nemsi durch den Orient hätte ein ähnliches Verdienst von Eckardt sein können.

Zum Buch: Eckardt ist zu unterschiedlichen Zeiten (als Student, als Erwachsener mit und ohne Frau und Kinder) durch die Länder gereist, die Karl May in seinen Orient-Reisebänden beschreibt und die er zum Teil auch selbst bereist hat, allerdings viel später. Es hätte sich ein tolles Spektrum ergeben können von Tunesien, Libyen, Ägypten, Palästina, Israel, dem Libanon, dem Irak, Syrien und der Türkei, wenn denn all diese verschiedenen Zeitebenen deutlich gemacht worden wären – besonders aufgrund der heutigen Entwicklungen. Die Reisebände (und weitere Abenteuer in Nordafrika und dem Vorderen Orient) spielen ungefähr 1880, May selbst reiste 1899/1900, und Eckardt war in den 1970ern und mehrfach später in der Gegend. Leider sind die modernen Reisedaten nur indirekt zu erschließen. Auch setzt er, wenn er Mays Werke und Briefe zitiert, umfassende Vorkenntnisse voraus, die ja nun nicht jeder hat. Deshalb werden einige Teile und Zusammenhänge für normalsterbliche LeserInnen sehr unklar bleiben … insbesondere, wenn ihre eigene May-Lektüre mehrere Jahrzehnte zurückliegt.

Vielleicht aber war ich nur enttäuscht, weil ich mir unter dem Buch etwas anderes vorgestellt hatte. Ich hatte mehr Zauber des Orients erwartet, Kolonialpomp, Beduinen und Harun al-Raschid, und eine klarere Linie, die Kara ben Nemsis Route enger folgt. So jedoch kann sich das Buch nicht recht entschließen: May-Fanbuch? Sammlung von Reportagen (die fürs Buch besser hätten redigiert werden müssen, damit ärgerliche Wiederholungen entfallen)?
Reiseliteratur ist es allemal, schöne Bilder und historische Fotos gibt’s auch. Nur wird man den Band schwerlich unterwegs genießen, denn durch das Kunstdruckpapier gleicht es eher einem Backstein und ist auch genauso unhandlich.

 

Thomas Jeier: Auf Winnetous Spuren. Karl-May-Verlag, 2000.

Zum Buch: Äußerlich genauso aufgemacht wie das vorige Buch (und genauso schwer und unhandlich), behandelt dieser Band die Heimat von Winnetou und anderen Figuren, die in den Nordamerika-Erzählungen von May auftauchen. Auch hier war ein Karl-May-Fan am Werk, aber er folgt nur gelegentlich Winnetous Spuren; vielmehr möchte er die heutigen Indianer in den USA breiter vorstellen, mit Schwerpunkten im Südwesten und in den nördlichen Prärien. Auch hier kurze Reportagen, die keine zusammenhängende Erzählung bilden; das wollen sie aber auch gar nicht, sondern befassen sich mit allerlei Aspekten, die in den Amerika-Erzählungen von May auftauchen.

Insgesamt sind die Texte besser geschrieben, und der Autor erzählt weniger von sich und mehr von dem, was er sieht und erlebt. (Nicht daß es schlecht wäre, wenn jemand von sich erzählt – aber wenn es so gar nicht zum Thema paßt?) Vielleicht erscheint der Band auch einheitlicher, weil sich in den USA nun nicht sooooo viel verändert hat – die Landschaft ist noch die Landschaft, und abseits der Hauptstraßen ist noch vieles ähnlich wie vor hundert, hundertdreißig Jahren, und genau abseits moderner Trampelpfade war Jeier vorwiegend unterwegs. May übrigens niemals – anscheinend ist er nur durch ein paar Ostküstenstaaten gereist und hat weder die Prärien noch den Llano Estacado jemals gesehen.

 

Dick Francis: Dead Cert. 1962 / Nerve. 1964 / For Kicks. 1965.

Mal wieder, diesmal seine ersten drei. (Bzw. die von ihm und seiner Frau Mary geschriebenen …). Generell ist den Francissen nichts Neues hinzuzufügen, außer daß sie gleich von Anfang an so waren, wie sie später immer noch waren. (Hat eine von Euch schon mal eine der Fortsetzungen gelesen, die von Sohn Felix allein geschrieben wurden? Ich habe gehört, daß sie ein bißchen anders sein sollen.)

Dead Cert: Der allererste. Jockey Alan York erlebt beim Hürdenrennen mit, wie sein Freund und Kollege Bill verunglückt. Alan findet heraus, daß der Sturz nicht zufällig war, und als Bill stirbt, ist Alan sehr motiviert, die Urheber dieses Unglücks zu ermitteln. Erst glaubt ihm niemand, dann wird er plötzlich anonym davor gewarnt, weiter nachzuforschen – was er natürlich dann erst recht tut. Es geht um Wettbetrug, irgendwie ist eine Taxifirma in Brighton darin verwickelt, und anscheinend hat auch Alans neue Flamme Kate damit zu tun … Klasse die Verfolgungsjagd, wie Alan zu Pferd von Taxis gehetzt wird.
Nerve: Jockey Rob Finn scheint es endlich in die vorderen Ränge des Hürdenrennens geschafft zu haben, als plötzlich all seine Pferde nur noch als letzte ins Ziel kommen und er zum Gespött der Medien wird. Mißtrauisch geworden, beobachtet er die Rennszene genau und entdeckt andere Jockeykarrieren, die ungeahnt enden, bis hin zu einem öffentlichen Selbstmord (gleich auf der ersten Seite). Und anstatt zu resignieren, entwickelt er einen Schlachtplan, um denjenigen zu finden, der hinter all dem steckt. – Ungewohnt eigentlich, daß so gar keine Polizei ins Spiel kommt; aber die Verleumdungskampagne ist auch so raffiniert, daß es für eine offizielle Verfolgung keine Ansatzpunkte gibt.
For Kicks: Um einem groß angelegten Rennpferddoping auf die Spur zu kommen, heuert der englische Rennsportclub den australischen Pferdezüchter Daniel Roke an, damit der verdeckt ermitteln kann. Das tut er verkleidet als Stallbursche und gerät dabei in immer fragwürdigere Unternehmen. Harte Arbeit ist weniger das Problem, aber Einsamkeit, Mißverständnisse und die Grausamkeiten, die Daniel aufdeckt, nagen an seiner Seele. – Natürlich gibt eine Hauptfigur von Francis niemals auf! Hier sehen wir auch Lehrstück zum Thema “Kleider machen Leute”, was auch heute noch durchaus stimmt. Das Wichtigste für Frauen bei Pferderennen ist ein Hut!

Deutschsprachige Ausgaben:
Dick Francis: Aufs falsche Pferd gesetzt. Übersetzt von Tony Westermayr. Goldmann, 1962. (Auch unter dem Titel Todsicher bei Diogenes, 1993.) / Die letzte Hürde. Übersetzt von Tony Westermayr. Goldmann, 1962. (Auch unter dem Titel Angst bei Ullstein, 1989. Neu übersetzt von Peter Naujack unter dem Titel Rufmord bei Diogenes, 1998.) / Der Trick, den keiner kannte. Übersetzt von Tony Westermayr. Goldmann, 1965. (Neu übersetzt von Malte Krutzsch unter dem Titel Doping bei Diogenes, 2000.)

 

Peter Guttridge: A Ghost of a Chance. 1998.

Um Abwechslung reinzubringen, aber auch, weil ich demnächst mal nach Bath fahre, habe ich zu diesem Krimi gegriffen in der Annahme, er spiele in Bath. Tut er aber nicht, sondern in Brighton (und ein bißchen auf Kreta). Das machte aber nichts, denn bei der abgefahrenen Handlung und dem witzigen Erzählstil habe ich mich genug amüsiert.

Zum Buch: Ein Reporter wird von seiner Chefredakteurin losgeschickt, um über Gespenster zu berichten, und natürlich findet er eine Leiche. Auf einem Friedhof. :-) Irgendwie scheint ein esoterisches Zentrum in der Nähe in den Fall verwickelt zu sein, und es geht um Aleister Crowley (also wenn jemand durchgeknallt war, dann der!) und ein geheimnisvolles Zauberbuch …

Viele Szenen scheinen mehr wegen ihres Slapsticks eingebaut worden zu sein, und manchmal ist es etwas ermüdend, dem zu folgen, aber im Ganzen fand ich es durchaus lustig und, was den Eso-Kram angeht, gut beobachtet. (Und ich wußte bislang auch noch nicht, daß Brighton die esoterische Hauptstadt Europas ist!) Den Autor habe ich übrigens kennengelernt, als ich 2000 mit meiner kollegin Andrea C. Busch beim Bouchercon in Denver war; wir waren für eine Podiumsdiskussion eingeteilt, die von Guttridge geleitet wurde. Ich fand ihn nett, hatte es aber bislang nicht geschafft, was von ihm zu lesen. (Keine deutschsprachige Übersetzung.)

 

Aktuell:
Nachrichten von der Buchmesse über Neuseeland (zum Beispiel Lektüreempfehlungen) und Otherland von Tad Williams.

 

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