Februar 2012

29. Februar 2012

Werte Mit-BuchabenteurerInnen,

diesmal bin ich wieder etwas gemischter! Zu Beginn eines neuen Jahres nimmt man sich ja immer allerhand vor, und dazu gehört sicher oft auch, daß man sich den Überhang aus dem Vorjahr schnell vom Bein schafft. (Bei mir ist das meist auch alles Mögliche aus dem Vorvorjahr und dem Vorvorvorjahr …) Jedenfalls entdeckte ich noch ein vor längerem ausgeliehenes Buch, das ich endlich a) lesen und b) der Eigentümerin zurückgeben wollte (was jedoch erst zwei Monate später gelang):

 

Frank Schätzing: Der Schwarm. Kiepenheuer und Witsch, 2004.

Zum Buch: Tausend Seiten Handlung voller Action zusammenzufassen ist ein bißchen schwierig, aber da es ja ein Bestseller war, wissen die meisten wahrscheinlich eh, daß es hier um die Rache der Natur (sprich: der Meere) am Menschen geht, und zwar wegen Raubbau, Verschmutzung und genereller Respektlosigkeit. Und genau deswegen wird kein Buch gelesen, denn das hört sich ziemlich öde und nach moralischem Zeigefinger an. Es ist jedoch ein verdammt spannendes Buch, das ich in fünf Tagen heruntergerissen habe. Auch wenn ich anfangs die vielen erzählenden Figuren kaum auseinanderhalten konnte (und einige von ihnen erleben das Ende des Buches nicht, so daß es schwer ist, auf jemandes Seite zu sein, also den eigenen Liebling zu finden), war schnell klar, daß all die mysteriösen Ereignisse am und im Wasser etwas miteinander zu tun haben müssen, und die Jagd nach der Lösung nahm zügig Fahrt auf. Es hat für versierte Krimifans schon etwas CSI-mäßiges, wie in den diversen Labors gefahndet wird, und versierte SF-Fans ahnen schon sehr bald, auf was es hinausläuft – was alles nichts daran ändert, daß ich wissen wollte, WIE sie es schaffen, und natürlich auch, WER es überhaupt noch schafft …

Ich fühlte mich insgesamt sehr an die TV-Serie seaQuest DSV erinnert, mit dem unnachahmlichen Roy Scheider, und einige der Themen des Schwarms waren auch sehr ähnlich. Außerdem frage ich mich, ob Schätzing die Story “The Shining Ones” (1962) von Arthur C. Clarke gelesen hat, was ich zufälligerweise kurz vorher getan hatte – ich würde ihn ja gern selbst fragen! Bei seaQuest kommt auch indirekt Jules Verne vor, der im Schwarm zur Lieblingslektüre einer der Figuren gehört (was mir diese Figur schon fast sympathisch machte) und überhaupt gut zu diesem Buch paßt – in dieser Mischung aus Abenteuer, Wissenschaft, Thriller und Action. Jedenfalls ist dies ein richtiger Schmöker, den man bestimmt gut im Urlaub lesen kann; man sollte das jedoch nicht am Strand tun, denn es könnte das Urlaubsvergnügen etwas schmälern, wenn man sich nicht mehr ins Wasser oder Fisch zu essen traut.

 

S. S. Van Dine: The Bishop Murder Case. 1929.

So viel Spaß ich mit dem Schwarm hatte, so wenig hatte ich mit dem Mordfall Bischof. Als Nachtlektüre glich das eher einer Folter, weil die Handlung sozusagen in extremer Zeitlupe dahinkrebst. Ich schätze es auch nicht, wenn mir alle paar Seiten versichert wird, daß dies ein besonders gruseliger und schlimmer Fall sei – ich möchte das, wenn überhaupt, auch wirklich spüren. Leider blieb trotz vielfacher Beschwörung jegliches Gruseln bei mir aus. Mag sein, daß wir heute einfach schon zu hartgesotten sind und einen irren Serienkiller, der nach Kinderreimen mordet, schlichtweg viel zu oft schon hatten … Vielleicht lag es auch daran, daß vor allem geschildert wurde, was NICHT passierte, und es passierte ziemlich viel nicht. Am Schluß war es übrigens doch derjenige, der am wenigsten verdächtig war, das hatte man 1929 eben so. Das Ganze sollte – für damalige Verhältnisse – ein besonders anspruchsvoller und literarischer Krimi sein; er gehört zu einer zehnbändigen Serie, die auch umsatzmäßig großen Erfolg hatte, ein begeistertes Fanpublikum anzog und sogar teilweise verfilmt wurde. Nun ja, über Geschmack läßt sich streiten … Die Lebensgeschichte des Autors übrigens fand ich erheblich spannender!

Deutschsprachige Ausgabe:
S. S. Van Dine: Das Zimmer des Schweigens. Übersetzt von D. Fickert. Neufeld & Henius, 1932. / Mordakte Bischof. Neu übersetzt von Marfa Berger. Heyne, 1972. / Der Mordfall Bischof. Neu übersetzt von Sascha Mantscheff. DuMont, 1987.

 

Nigel Cassidy / Philippa Lamb: Battenberg Britain. 2009.

Wieso haben wir kein solches Buch aus unseren Breiten? Es würde auch reichen, wenn dieses Buch übersetzt würde – obwohl ich nicht weiß, ob sich der flockige Stil des Autorenduos wirklich gut ins Deutsche bringen läßt, ohne gekünstelt oder platt zu klingen. So was können nur wirklich gute ÜbersetzerInnen, und die übersetzen eher selten Kochbücher oder Bücher, die sich irgendwie mit Essen befassen.

Zum Buch: Denn darum geht es hier: Fertigprodukte, die in den 1960ern besonders Großbritannien überschwemmten und somit die kulinarische Lebensgeschichte vieler Menschen prägten. Cassidy und Lamb haben sich gefragt, ob es diese Produkte noch gibt und wie sie heute wirken (Peinlichkeitsfaktor im Einkaufswagen!). Die meisten stehen erstaunlicherweise noch immer in den Supermarktregalen (auch in unseren – Nescafé, Heinz-Ketchup und Salzstangen, zum Beispiel), manche allerdings den heutigen Gegebenheiten angepaßt, was Rohstoffe, Herstellung und Zutaten angeht. Tollkühn haben die beiden Autoren zahlreiche Selbsttests unternommen und auch ihre Freunde nicht geschont …

Es ist mitunter eine Monty-Python-Show, manchmal auch voller Sehnsucht nach einer „guten alten Zeit“ und durchaus poetisch in den Sprachspielereien. Ich hab viel gelacht und viel gelernt (zum Beispiel, daß es in Japan und auf Hawaii bei MacDonald’s Spam-Burger gibt), und ich weiß eins: Wenn ich das nächste Mal in England bin, MUSS ich unbedingt „French Fancies“ probieren! (Battenberg Cake habe ich bereits selbst mal gebacken.) Und natürlich würde ich das Angebot, ein solches Buch für deutschsprachige Gefilde zu erstellen, sofort akzeptieren!

 

Caryl Brahms / S. J. Simon: A Bullet in the Ballet. 1937.

Beim Lesen merkt man, wieviel Spaß die beiden gehabt haben, als sie das Buch (das erste einer Reihe gemeinsamer Werke) geschrieben haben – vermutlich haben sie in einer Tour vor sich hingekichert … Es hat Ähnlichkeit mit einem Marx-Brothers-Film. Mit Ballett muß man sich nicht unbedingt (gut) auskennen, denn Caryl Brahms war im wirklichen Leben eine angesehene Ballettkritikerin und kann auch im Roman anschaulich rüberbringen, was es damit auf sich hat und was das Besondere daran ist. Aber überwiegend spielt dieser Krimi hinter den Kulissen, und da findet sich eine ähnlich verschrobene Welt wie beim Theater, wahrscheinlich nur noch abgedrehter. Brahms und Simon (beides Pseudonyme) setzen dem allerdings noch mal etliche Spitzen auf. Wie es sich für ihre Zeit gehört (und wie es technisch auch am einfachsten zu lösen ist, also schreibtechnisch), handelt es sich strukturell um einen guten alten Häkelkrimi, und weil man mich immer gut reinlegen kann, bin ich auch hier nicht auf den Täter gekommen – wer hätte auch gedacht, daß es sich um den Unverdächtigsten des ganzen Romanensembles handelt? Sehr erheiternd auch die Polizei, die mit weitgehend stoischer Ruhe durch den Fall pflügt. Zwei Dinge werde ich also jetzt nach Lektüre tun: erstens mal Petruschka sehen, und zweitens die übrigen Bände der beiden besorgen (die leider nie ins Deutsche übersetzt wurden)!

 

Ephraim Kishon: Kein Applaus für Podmanitzki. Übersetzt (aus dem Englischen!) von Friedrich Torberg. LangenMüller, 1973. [offenbar Texte einzeln original nur in der Zeitung erschienen]

Es ist Zufall, daß ich zwei „Bühnenbücher“ direkt hintereinander habe, denn mit dem Podmanitzki hatte ich aus anderen Gründen und schon lange vor der Bullet angefangen. Dieser Band versammelt alle Satiren von Kishon zum Thema Theater, und auch wenn ich es eigentlich selbst nicht so mit Theater habe – der mittelmäßige Schauspieler Jarden Podmanitzki ist mir ans Herz gewachsen! Als ich Teenager war, bildete Kishon zusammen mit Heinz Erhard und Loriot eine Art Dreigestirn der deutschen Comedy (wie wir heute sagen würden), und ich habe irgendwie unglaublich lange gebraucht, um zu begreifen, daß Kishon mit Deutschland so gar nichts zu tun hat. Sein begnadeter Übersetzer war natürlich Friedrich Torberg (der mit der Tante Jolesch, passagenweise zitierfähig!). Jedenfalls war Kishon Pflicht, der Blaumilchkanal plätschert immer noch durch meine Kindheitslandschaft (und hat bis heute in unserer Gesellschaft nichts an Aktualität verloren!), und Podmanitzki hat mir das Theater vor und hinter den Kulissen nahegebracht, was mir bei meiner ersten Romanübersetzung (Carlson: Vorspiel zum Mord) geholfen hat, und ich bin sicher, daß Kishons Beobachtungen auch auf das Theater von heute immer noch sehr zutreffen …

 

Harry Kemelman: Friday the Rabbi Slept Late. 1964.

Ich bin vermutlich die einzige meiner Generation (und der davor), die noch nie einen Krimi mit dem Rabbi Small gelesen hatte. Eher zufällig habe ich das nachgeholt und muß sagen: Es lohnt sich absolut! Natürlich ist er mittlerweile fast ein bißchen historisch, aber ich schätze mal nur, was die US-amerikanische und die westliche Gesellschaft schlechtin betrifft … das jüdische Leben wirkt dagegen völlig zeitlos. Kemelmans Erzählstil ist schnörkellos und lebendig, liest sich gut und kein bißchen angestaubt, AUCH nicht, was all die Schilderungen der nicht-ehelichen Beziehungen in der (erfundenen) Kleinstadt in Neuengland angeht, um die es in diesem Krimi geht. Sehr erfrischend, auch weil das Buch nicht so lang ist.

Deutschsprachige Ausgabe:
Harry Kemelman: Am Freitag schlief der Rabbi lang. Übersetzt von Liselotte Julius. Rowohlt, 1966. / Neu übersetzt (?) von Eva Rottenberg. Rowohlt, 2001.

 

Aktuelle Lektüre:

In Arbeit immer noch den Serienüberblick von “Star Trek – The Next Generation” etc., außerdem Christies frühe Poirot-Geschichten. Alle drei Bücher wandern mit mir durch die Wohnung (und in die S-Bahn), je nachdem, ob ich kurze und unkomplizierte oder spannende oder beruhigend vertraute Lektüre brauche. Das kann zwischen Küche, Klo und Bett schon mal sehr wechseln!
Die übrigen angelesenen Bücher habe ich vorerst wieder weggestellt; es nützt ja nichts, einen “TBR”-Stapel (to be read) zu bilden – diese Biester vermehren sich schneller, als ich sie niederlesen kann.

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