Dezember 2011

31. Dezember 2011

Werte Lesende,

zwischen dem hektischen November und dem hektischen Dezember in der angeblich so besinnlichen und beschaulichen Jahreszeit eine Handvoll Krimis und etwas Lese-Naschwerk:

 

CrispinEdmund Crispin: The Moving Toyshop. 1946.

Auch wenn das Buch erst nach dem Krieg erschienen ist, gilt es doch immer noch als Häkelkrimi aus den „Goldenen Jahren“ (zwischen den Kriegen), und Edmund Crispin ist das Pseudonym für Robert Bruce Montgomery, der in Oxford studiert hat und später als Komponist (auch für Filme) arbeitete. In seinen neun Krimis und einigen Stories lernen wir den Oxford-Professor Gervase Fen kennen, der ziemlich eingebildet und sehr durchgeknallt ist, weswegen auch die Fälle immer sehr durchgeknallt sind …

Zum Buch: Dies ist wahrscheinlich das bekannteste Buch von Crispin. Es ist schon bemerkenswert, wieviel absurde, witzige und blutrünstige Handlung man in einen einzigen Tag hineinpressen kann, und ich schwöre, daß die Schilderungen von Universitätsmenschen und Orten und allem ziemlich dicht an der Realität sind und sich nicht sonderlich verändert haben in den letzten 65 Jahren! Man kann das Buch auch immer noch mit Stadtplan lesen, sollte aber wissen, daß Gervase Fens (fiktives) St Christopher’s College zwischen St John’s und Balliol liegt.

Deutschsprachige Ausgabe:
Edmund Crispin: Mord im ersten Stock. Übersetzt von Leni Sobez. Heyne, 1974. / Der wandernde Spielzeugladen. Neu übersetzt von Andreas Vollstädt. Haffmans, 1993. / Der wandernde Spielzeugladen. Neu übersetzt von Eva Sobottka. Dumont, 2003.

 

Dorothy L. Sayers: Unnatural Death. 1927.

Zum Buch: Noch ein – partiell witziger – Häkelkrimi, auch von einer gescheiten Oxford-Absolventin (Sayers ist auch in Oxford geboren), wenn auch vielleicht nicht ganz so abgedreht wie Crispin. Dies ist der dritte Krimi mit Lord Peter Wimsey, der zunächst einmal beweisen muß, daß überhaupt ein Mord stattgefunden hat (weswegen eine deutschsprachige Übersetzung Eines natürlichen Todes und eine andere Keines natürlichen Todes heißt), bevor er sich durch ein unglaubliches Gewirr aus Erbrechtsänderungen, Verwandtschaftsbeziehungen und haufenweise Alibis kämpfen kann. Erstmals tritt hier auch Miss Katherine Climpson auf, eine ältere unverheiratete Frau, die sozusagen die Miss Marple der Sayers ist; sie bleibt jedoch Nebenfigur, Lord Peter hat sie quasi als Helferin eingestellt. Ich schätze ihren unnachahmlichen Briefstil!

Bei aller Liebe zu Sayers ärgert mich jedoch eins an diesem Buch: Die Hauptverdächtige ist lesbisch. Nun können von mir aus gern auch Lesben, Schwule, Behinderte, Kinder, Alte und alle anderen „Randgruppen“, aus denen unsere menschliche Gesellschaft besteht, Bösewichte sein – aber wenn sie so singulär auftreten (es gibt sonst eigentlich keine Lesben bei Sayers) UND dann auch noch unsympathisch sind, nehme ich sie nicht einfach nur als Figur wahr, sondern als Aussage, und das mißfällt mir. Jetzt könnte man argumentieren, daß Sayers in ihrem Werk nur darstellt, wie die zeitgenössische Gesellschaft so was sieht und darauf reagiert (es gab ähnliche Kritik an ihrem Erstling, in dem die Leiche ein Jude war), aber – hm. Es bleibt ein schaler Geschmack zurück. (Ähnlich erging es mir – ebenfalls mit lesbischen Figuren, die verdächtig waren – mit einem Buch von Grafton; dort um so empörender, weil es in den späten 1980ern in Kalifornien spielt, da war man gesamtgesellschaftlich doch schon weiter! Und natürlich will ich, daß meine bevorzugten AutorInnen auch bessere Menschen sind!!)

Deutschsprachige Ausgabe:
Dorothy L. Sayers: … eines natürlichen Todes. Übersetzt von Auguste Flesch von Bringen. Tal, 1936. / Keines natürlichen Todes. Neu übersetzt von Otto Bayer. Wunderlich, 1975.

 

Neil Gaiman: Fragile Things. 2006.

Kein Roman, sondern eine Sammlung von kürzeren Stücken, die vorher an unterschiedlichen Stellen erschienen sind. Ah! Und jedes davon wie eine belgische Praline – gehaltvoll, nur vom Feinsten, ein Universum auf der Zunge! Neil Gaiman hat zunächst „Comics“ geschrieben (den Sandman, alles andere als witzig, aber so gut, so gut!) und Stories und ist dann mit dem Roman American Gods bekanntgeworden. Wo ist er einzuordnen? Könnte ich nicht sagen. Will er wohl auch nicht; es würde ihn zu sehr festlegen.

Zum Buch: Jedenfalls bietet Fragile Things die ganze Bandbreite seines düster-verträumten, mitunter auch humorvollen, fast immer poetischen Schreibens (sind auch Gedichte drin). Gaiman gehört zu den Menschen, die – wie zum Beispiel Jorge Luis Borges – einfach viel zu viel gelesen haben!

Deutschsprachige Ausgabe:
Neil Gaiman: Zerbrechliche Dinge. Übersetzt von Hannes und Sara Riffel. Klett-Cotta, 2010.

 

John Myers Myers: Silverlock. 1949.

John Myers Myers (1906-1988) war ein US-amerikanischer Journalist, Werbetexter und Schriftsteller, der neben historischen und phantastischen Romanen auch historische Sachbücher über den Wilden Westen geschrieben hat. Silverlock hat sich zu einem Kultbuch der Science-fiction/Fantasy-Szene entwickelt.

Zum Buch: Ein Schiffbrüchiger aus Chicago begegnet im Wasser treibend einem Fremden und landet mit ihm auf dessen Heimatkontinent – der bevölkert ist von literarischen Figuren (inkl. zugehöriger Orte und Ereignisse). Das merkt der miesepetrige Chicagoer natürlich erst nicht. Die beiden schlagen sich so durch und geraten an einen Jüngling, dessen Braut einen anderen heiraten will, der natürlich ein Erzbösewicht ist und den Jüngling auch noch um sein Erbe betrogen hat. Das ist alles recht kurzweilig zu lesen, wie der Chicagoer sich mit Circe herumschlägt und mit Erik dem Roten und mit Robin Hood und all den anderen, wie er von der Fairie Queene in ihr Reich gelockt wird etc., und wie er sich währenddessen vom Zyniker zum anteilnehmenden Menschen entwickelt. Hin und wieder wird auch gesungen (der andere Schiffbrüchige ist ein Barde). Das letzte Drittel verbringt er in Dantes Inferno, da wird aber auch kein Höllenkreis ausgelassen, was die Sache extrem zäh macht, so daß ich den Höhepunkt der Handlung offenbar verpennt habe. Dennoch – der Rest lohnt sich durchaus.

Deutschsprachige Ausgabe:
John Myers Myers: Die Insel Literaria. Übersetzt von Annette von Charpentier und Helmut W. Pesch. Lübbe, 1984.

 

Dick Francis: Twice Shy. 1981. / Break in. 1985. / Hot Money. 1987.

Ähm, ja, ich konnte es nicht lassen …

Zu den Büchern: Twice Shy besticht durch das Experiment, die erste Hälfte von dem Lehrer Jonathan erzählen zu lassen und die zweite, die ein paar Jahre später spielt, von seinem jüngeren Bruder, einem Jockey. Dennoch werden beide gleichermaßen schnell sympathisch. Es geht um ein narrensicheres Wettsystem mithilfe eines Computerprogramms – und das war eigentlich das Interessanteste (und Witzigste), wie Francis uns Computer erklärt und Basic beibringt und wie sie mit allerlei Cassetten herumhantieren, auf denen die Programme gespeichert sind …
In Break in will der Jockey Kit Fielding die Ehe und den Reithof seiner Zwillingsschwester retten, die ausgerechnet jemanden aus einer seit Generationen verfeindeten Familie geheiratet hat. Was Familienbande so aus- und anrichten können!
Das erlebt auch der Jockey Ian in Hot Money – sein Vater heuert ihn als Bodyguard an, obwohl sie seit Jahren nicht miteinander gesprochen haben. Der Vater ist ein Finanzgenie in Sachen Gold und fühlt sich plötzlich bedroht; seiner Ansicht nach hat das familiäre Gründe, und da ist die Zahl der Verdächtigen, denn er hat fünf Ex-Frauen und etliche Kinder. Ich fand es hier besonders spannend mitzuverfolgen, daß ich die große Zahl der Figuren immer gut auseinanderhalten konnte.

Deutschsprachige Ausgaben:
Dick Francis: Fehlstart. Übersetzt von Malte Krutzsch. Ullstein, 1983. / Zahm und zerbrochen. Übersetzt von Malte Krutzsch. Ullstein, 1987. (Auch: Ausgestochen. Diogenes, 1995.) / Totes Rennen. Übersetzt von Malte Krutzsch. Ullstein, 1989. (Auch: Mammon. Diogenes, 2000.)

 

Miguel Ruiz: The Four Agreements. 2003.

Das hat mir eine Freundin geschenkt, die es ihrerseits von einer anderen Freundin empfohlen bekam, und ich habe es wiederum an eine Freundin weitergegeben.

Zum Buch: Es handelt sich um die Zusammenfassung der Thesen dieses Miguel Ruiz (angeblich alte toltekische Weisheiten, aber auf so was kommt’s meist gar nicht an), und mehr als eine Zusammenfassung braucht man auch nicht (man kann auch den Wikipedia-Eintrag zu Ruiz lesen). Eine kleine Erinnerung daran, wie man aufrecht durchs Leben gehen kann, und als kleines Geschenk durchaus schön.

 

Aktuelle Lektüre:
Immer noch den Enterprise-Serienführer. Als Lesestoff für längere Sitzungen was von Kishon vorgekramt, und als Nachtlektüre eine echte Einschlafhilfe …

Kategorien: Erlesenes | Schlagwörter: , , , , , , , , , | Kommentare deaktiviert