November 2011

30. November 2011

Ihr Lieben,

ziemlich krimilastig, dieser Monat …

 

Sue Grafton: C Is for Corpse. 1986. / D Is for Deadbeat. 1987. / E Is for Evidence. 1988. / F Is for Fugitive. 1989.

Ich nahm mir nicht nur die Begeisterung einer Freundin, sondern auch ihre Warnung zu Herzen, besonders auch, weil ich mich an meinen eigenen Unmut über etliche spätere Grafton-Bände erinnere. So habe ich in schneller Folge nur bis „F“ gelesen, auch um nicht vor Überdruß die Chance zu verlieren, aus der späten Sicht vielleicht doch das eine oder andere Gute zu entdecken, das mir bei Erstlektüre durchgeflutscht ist. Was mir zum Beispiel jetzt an diesen frühen Bänden auffiel war das Fehlen des familiären Umfelds. Klar, Kinsey Millhone berichtet in jedem Buch getreulich vom Tod ihrer Eltern und wie sie bei der – inzwischen ebenfalls toten – Tante aufwuchs. Und es gibt natürlich auch die Wahlfamilie, die typisch für die hard-boiled PIs ist, was bei den weiblichen etwas deutlicher zu merken ist als bei den männlichen. Kinsey hat ihren Vermieter, in den sie trotz seiner mehr als 80 Jahre halb verliebt ist, sie hat die Besitzerin ihres Stammlokals, sie hat einen Kumpel und später auch einen Lover bei den Bullen sowie diverse schräge Vögel, auf die sie immer mal wieder trifft; mit all denen bespricht sie durchaus auch Persönliches. Aber Familie? Die man sich NICHT ausgesucht hat, mit der man trotzdem irgendwie klarkommen muß (so was kann auch fürs Leben üben), die man nie loswird, selbst wenn sie überhaupt nicht da ist … Ich vermute mal, das ist auch der Autorin irgendwann aufgefallen, weswegen wir in den späteren Büchern etwas Familie nachgeliefert bekommen.

Zu den Büchern: „C“ war, glaube ich, damals meine erste Kinsey; auf jeden Fall war es die erste, die ich mir auch gekauft habe (und nicht nur leihweise gelesen). Da war dieses Familienthema besonders deutlich: Kinsey wird von einem jungen Sportler angeheuert, dessen Unfall sie untersuchen soll, weil er ihn für einen Mordanschlag hält. Als der junge Mann tatsächlich tödlich verunglückt, fühlt sich Kinsey verpflichtet, den Fall bis zum Ende aufzuklären, ganz so, als wäre der Klient tatsächlich ihr kleiner Bruder gewesen, als den sie ihn irgendwie gesehen hat. Diese Konstellation, einschließlich der hochgradig verdächtigen Familie des Klienten, in all dem unklaren Distanz-Nähe-Verhältnis fand ich auch beim Wiederlesen eigenartig anrührend. (Weswegen auch die abenteuerliche „Jetzt-röntge-ich-mal-selbst“-Episode gegen Ende wenig störte.)
„D“ fand ich nun voller unsympathischer Figuren, was Kinsey wohl ebenso erging (einschließlich ihres toten Klienten), und ich hatte angesichts des im Grunde nicht uninteressanten Plots ein bißchen das Martha-Grimes-Gefühl, nämlich: Jetzt hat die Autorin alle Figuren mal verdächtigt und kann sich nicht entscheiden, wer es nun gewesen sein soll, aber das Buch ist gleich zu Ende, also greift sie zufällig eine heraus …
In „E“ ist Kinsey ihre eigene Klientin. Bewundernswert für mich daran vor allem, wie ordentlich sie trotzdem ihren Papierkram macht! (Überhaupt, diese Karteikarten-Sache … aber das ist ein längeres Thema für wann anders.)
Da am Ende von „E“ Kinseys Wohnung demoliert wird, trifft es sich natürlich gut, daß sie für „F“ in einer anderen Stadt ermittelt und dort ausgerechnet im Hotel ihres Klienten wohnt, dessen Sohn sie vom Mordverdacht befreien soll. Das bietet einen besonders unmittelbaren Blick auf die Familienverhältnisse. Beim Lesen dachte ich zwar: Warum bleiben all diese Leute zusammen, wenn sie einander derart hassen? Aber noch vor Buchende fielen mir all die realen Familien ein, die ich so im Laufe meines Lebens kennengelernt habe …
Die vier Fälle liegen jeweils nur wenige Wochen auseinander, seit „A“ ist in der internen Chronologie noch nicht einmal ein Jahr vergangen. (Meine Besprechungen von „A“ und „B“ liegen länger zurück, ich suche noch die Texte …)

Deutschsprachige Ausgaben:
Sue Grafton: C wie Callahan. Übersetzt von Birgit Herrmann. Ullstein, 1988. / D wie Drohung. Übersetzt von Dagmar Hartmann. Ullstein, 1989. / E wie Eigennutz. Übersetzt von Dagmar Hartmann. Ullstein, 1989. / Sie kannte ihn flüchtig. Übersetzt von Christine Frauendorf-Mössel. Fischer, 1990.

 

Janwillem van de Wetering: Het dagende niets. 1974.

Zum Buch: Der gute Janwillem hat nach seinen japanischen Klostererfahrungen einige Jahre pausiert in Sachen Zen, doch als er sich wieder damit befassen möchte, geht er nicht nach Japan, sondern in die USA nach Maine, wo der legitime Nachfolger des japanischen Meisters eine Art Zen-Kommune auf einem einsamen Hof aufgebaut hat. Mit dem Zen kann van de Wetering nun etwas lockerer umgehen, er löst auch endlich sein erstes Koan, das er noch in Japan bekam, und er findet die westlichen Zen-Studierenden sehr anders als die japanischen Mönche – verbissener, fand ich, aber auch individueller.
Auch wenn der Aufenthalt im Winter stattfindet, so las sich die Beschreibung wärmer als im ersten Band (siehe Oktober 2011); vielleicht, weil es weniger Selbstzerfleischung und weniger Selbstmitleid gab.

Deutschsprachige Ausgabe:
Janwillem van de Wetering: Ein Blick ins Nichts. Nach der englischsprachigen Fassung übersetzt von Klaus Schomburg. Rowohlt, 1985.

 

Dorothy L. Sayers: Clouds of Witness. 1926.

Beim Wiederlesen der kompletten Sayers hatte ich jetzt eine Weile ausgesetzt, das lag aber auch ein bißchen daran, daß ich diesen Band (ihren zweiten Lord Peter Wimsey) nicht so positiv in Erinnerung hatte.
Zum Buch: Lord Peters Schwester hat sich mit einem Typen verlobt, der ausgerechnet in dem Jagdschloß, in dem sich der Herzog samt Jagdgesellschaft eingemietet hat, ums Leben kommt. Der schwerste Verdacht fällt auf den Herzog, Lord Peters Bruder, aber auch die Schwester verhält sich sonderbar, und so eilt Lord Peter herbei in der Hoffnung, seine Geschwister nicht nur zum Reden zu bringen, sondern auch dazu, die Wahrheit zu sagen über all die Geheimnisse, die sie offenbar haben. Klassischer Landhaus-Häkelkrimi mit allem Zipp und Zapp, angesiedelt in Yorkshire. Unterhaltsam wie immer: Sayers’ Dialoge, in denen sie auch die Aktivitäten der Sprechenden unterbringt, ohne die wörtliche Rede zu verlassen (kann sonst niemand so!). Kurzum, ich fand ihn doch besser als erwartet!

Deutschsprachige Ausgabe:
Dorothy L. Sayers: Lord Peters schwerster Fall. Übersetzt von Lola Humm-Sernau. Scherz, 1954. / Diskrete Zeugen. Neu übersetzt von Otto Bayer. Wunderlich, 1979.

 

Dick Francis: In the Frame. 1976. / Longshot. 1990.

Ja, ich geb’s zu, das Dick-Francis-Lesen konnte ich nicht lassen, das setzt sich auch bis in den nächsten Monat fort, aber ich hab mich einfach gut und spannend unterhalten gefühlt (was man vom Fernsehprogramm ja nun nicht immer sagen kann).

Zu den Büchern: In the Frame spielt überwiegend in Australien und dreht sich um gefälschte Gemälde, natürlich von Pferden. Longshot hatte ich auch positiver Erinnerung, allerdings offenbar nur sehr partiell; nun las ich erheitert von dem Helden, der als Autor mehrerer Survival-Reiseführer gerade seinen ersten Roman geschrieben hat und aus akutem Geldmangel den Autrag annimmt, die Biographie eines Pferdetrainers zu schreiben – ich bin sicher, daß die Schilderung der Londoner Verlagszene zu Beginn des Buches stark an die Realität angelehnt ist.

Zwischen den beiden Bänden liegen vierzehn Jahre, aber das merkt man nicht unbedingt. Das ist einerseits ein Plus, daß das Ehepaar Francis von Anfang sehr gekonnt geschrieben hat; man merkt höchstens an ein paar Schilderungen von Mode oder Technik, in welchem Jahrzehnt wir uns gerade befinden, und die früheren sind meist etwas kürzer als die späteren. Andererseits liest sich der vierzigste Roman (2007 unter Mitwirkung des Sohnes) wie der erste (1962), und da könnte man bemäkeln, daß die sich nicht weiterentwickelt haben. Also, mir als Leserin ist das in diesem Fall schnuppe; bei Francis krieg ich Qualität und Pferd, darauf kann ich mich verlassen. (Und ich sehe, daß der Sohn weiterschreibt.)

Deutschsprachige Ausgaben:
Dick Francis: Die ganze Palette des Todes. Übersetzt von Ursula Goldschmidt. Ullstein, 1977. / Gefälscht. Neu übersetzt von Malte Krutzsch. Diogenes, 2001. // Aussenseiter. Übersetzt von Gerald Jung. Diogenes, 1991.

 

Aktuelle Lektüre:
Episodenführer zu sämtlichen Enterprise-TV-Serien.

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